Riesendiskussion um neues Gesetz: So viele Hamburger sind offiziell „divers“
GESCHLECHTSEINTRAG Die Zahlen sind überraschend. Was die neuen Regeln ändern würden
Der Titel ist sperrig und die meisten Menschen sind gar nicht persönlich betroffen, trotzdem kochen bei dem „Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag“die Emotionen hoch. Schon jetzt können Menschen sich beim Standesamt einen neuen Namen und ein anderes Geschlecht eintragen lassen. Wie viele Hamburger nutzen diese Möglichkeit? Wie viele Menschen in Hamburg sind eigentlich „offiziell divers“? Und was würde sich ändern, wenn der Bundestag das neue Gesetz verabschieden würde?
Die Zahlen sind verschwindend gering: Von 1,8 Millionen Hamburgern waren im Jahr 2022 knapp 30 als „divers“registriert. Im vergangenen Jahr meldete ein Elternpaar in Eimsbüttel sein Baby als „divers“an – nicht aus einer Spinnerei heraus, sondern weil das Neugeborene mit männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen auf die Welt kam. Diese extrem seltene Laune der Natur ist bisher die Voraussetzung, um sich als „divers“registrieren zu lassen. Außerdem haben 22 Menschen an Hamburger Standesämtern im Jahr 2023 ihren Namen und ihr Geschlecht geändert, die Hälfte davon allein im Bezirk Nord. Wie viele davon sich als „divers“eintragen lassen haben, wurde nicht erfasst.
Für so wenige Menschen so eine riesige gesellschaftliche Debatte? Jede Stellenausschreibung muss neben „w“und „m“auch „d“enthalten, jede Anmeldung in Online-Shops bietet „divers“zum Ankreuzen an, es gibt Unisex-Toiletten – ist das nicht alles gaga? Tatsächlich ist das Thema billig durch den Kakao zu ziehen, die Lacher sind sicher. So erklärte sich etwa der Hamburger Linke Bijan Tavassoli 2022 monatelang zu einer „bärtigen, lesbischen muslimischen Transfrau“,
setzte sich in Wien demonstrativ in eine Damensauna und störte im November 2023 den Parteitag. Befürworter des neuen Gesetzes argumentieren hingegen, dass die Zahlen so niedrig sind, weil die Hürden dermaßen hoch sind: Es gibt deutlich mehr Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, aber ein Gefühl reicht derzeit nicht, um sich offiziell „divers“in den Ausweis schreiben zu lassen. Erwachsene Transsexuelle, die Namen und Geschlecht in den Urkunden ändern lassen wollen, müssen zwei psychiatrische Gutachten vorlegen und eine jahrelange Leidenszeit nachweisen – eine teure, langwierige und oft als extrem belastend empfundene Prozedur. Das derzeit noch gültige „Transsexuellengesetz“gibt es seit 1980, im Jahr 2008 wurde es für teilweise verfassungswidrig erklärt. Das neue Selbstbestimmungsgesetz soll den Weg deutlich vereinfachen, das hat die Ampel schon im Koalitionsvertrag vereinbart: Jede Person soll durch eine Erklärung („Eigenversicherung“) auf dem Standesamt ihren Namen und ihr Geschlecht ändern können. Drei Monate später wäre der neue Name offiziell gültig. Rückgängig gemacht werden könnte die Änderung frühestens nach einer Sperrfrist von einem Jahr. Jugendliche ab 15 Jahre
sollen die Erklärung selbst abgeben dürfen, brauchen aber die Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten.
Das alles hat das Kabinett im August 2023 verabschiedet. Bevor aber aus dem, was die Regierung sich ausdenkt, ein Gesetz wird, muss der Bundestag darüber abstimmen – und hier regt sich Widerstand: Im November 2023 debattierten die Abgeordneten, wurden sich nicht einig und verwiesen den Entwurf zur weiteren Beratung an den Familienausschuss.
Ein Knackpunkt ist etwa, dass für Kinder unter 15 Jahren die Eltern alleine über ein anderes Geschlecht im Ausweis entscheiden können, ohne Prüfung durch ein Familiengericht. Wann das Gesetz wieder im Bundestag landet, steht in den Sternen: „Ein Termin für weitere Beratungen ist nicht bekannt“, heißt es aus der Pressestelle des Bundestags auf MOPO-Nachfrage.
Erwachsene, die Namen und Geschlecht in Urkunden ändern lassen wollen, müssen zwei psychiatrische Gutachten vorlegen.