Hamburger Morgenpost

Riesendisk­ussion um neues Gesetz: So viele Hamburger sind offiziell „divers“

GESCHLECHT­SEINTRAG Die Zahlen sind überrasche­nd. Was die neuen Regeln ändern würden

- Von STEPHANIE LAMPRECHT

Der Titel ist sperrig und die meisten Menschen sind gar nicht persönlich betroffen, trotzdem kochen bei dem „Gesetz über die Selbstbest­immung in Bezug auf den Geschlecht­seintrag“die Emotionen hoch. Schon jetzt können Menschen sich beim Standesamt einen neuen Namen und ein anderes Geschlecht eintragen lassen. Wie viele Hamburger nutzen diese Möglichkei­t? Wie viele Menschen in Hamburg sind eigentlich „offiziell divers“? Und was würde sich ändern, wenn der Bundestag das neue Gesetz verabschie­den würde?

Die Zahlen sind verschwind­end gering: Von 1,8 Millionen Hamburgern waren im Jahr 2022 knapp 30 als „divers“registrier­t. Im vergangene­n Jahr meldete ein Elternpaar in Eimsbüttel sein Baby als „divers“an – nicht aus einer Spinnerei heraus, sondern weil das Neugeboren­e mit männlichen und weiblichen Geschlecht­sorganen auf die Welt kam. Diese extrem seltene Laune der Natur ist bisher die Voraussetz­ung, um sich als „divers“registrier­en zu lassen. Außerdem haben 22 Menschen an Hamburger Standesämt­ern im Jahr 2023 ihren Namen und ihr Geschlecht geändert, die Hälfte davon allein im Bezirk Nord. Wie viele davon sich als „divers“eintragen lassen haben, wurde nicht erfasst.

Für so wenige Menschen so eine riesige gesellscha­ftliche Debatte? Jede Stellenaus­schreibung muss neben „w“und „m“auch „d“enthalten, jede Anmeldung in Online-Shops bietet „divers“zum Ankreuzen an, es gibt Unisex-Toiletten – ist das nicht alles gaga? Tatsächlic­h ist das Thema billig durch den Kakao zu ziehen, die Lacher sind sicher. So erklärte sich etwa der Hamburger Linke Bijan Tavassoli 2022 monatelang zu einer „bärtigen, lesbischen muslimisch­en Transfrau“,

setzte sich in Wien demonstrat­iv in eine Damensauna und störte im November 2023 den Parteitag. Befürworte­r des neuen Gesetzes argumentie­ren hingegen, dass die Zahlen so niedrig sind, weil die Hürden dermaßen hoch sind: Es gibt deutlich mehr Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen, aber ein Gefühl reicht derzeit nicht, um sich offiziell „divers“in den Ausweis schreiben zu lassen. Erwachsene Transsexue­lle, die Namen und Geschlecht in den Urkunden ändern lassen wollen, müssen zwei psychiatri­sche Gutachten vorlegen und eine jahrelange Leidenszei­t nachweisen – eine teure, langwierig­e und oft als extrem belastend empfundene Prozedur. Das derzeit noch gültige „Transsexue­llengesetz“gibt es seit 1980, im Jahr 2008 wurde es für teilweise verfassung­swidrig erklärt. Das neue Selbstbest­immungsges­etz soll den Weg deutlich vereinfach­en, das hat die Ampel schon im Koalitions­vertrag vereinbart: Jede Person soll durch eine Erklärung („Eigenversi­cherung“) auf dem Standesamt ihren Namen und ihr Geschlecht ändern können. Drei Monate später wäre der neue Name offiziell gültig. Rückgängig gemacht werden könnte die Änderung frühestens nach einer Sperrfrist von einem Jahr. Jugendlich­e ab 15 Jahre

sollen die Erklärung selbst abgeben dürfen, brauchen aber die Zustimmung ihrer Erziehungs­berechtigt­en.

Das alles hat das Kabinett im August 2023 verabschie­det. Bevor aber aus dem, was die Regierung sich ausdenkt, ein Gesetz wird, muss der Bundestag darüber abstimmen – und hier regt sich Widerstand: Im November 2023 debattiert­en die Abgeordnet­en, wurden sich nicht einig und verwiesen den Entwurf zur weiteren Beratung an den Familienau­sschuss.

Ein Knackpunkt ist etwa, dass für Kinder unter 15 Jahren die Eltern alleine über ein anderes Geschlecht im Ausweis entscheide­n können, ohne Prüfung durch ein Familienge­richt. Wann das Gesetz wieder im Bundestag landet, steht in den Sternen: „Ein Termin für weitere Beratungen ist nicht bekannt“, heißt es aus der Pressestel­le des Bundestags auf MOPO-Nachfrage.

Erwachsene, die Namen und Geschlecht in Urkunden ändern lassen wollen, müssen zwei psychiatri­sche Gutachten vorlegen.

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Die Hürde, sich offiziell als „divers“registrier­en zu lassen, ist hoch.

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