Hamburger Morgenpost

Was sich bei der Wafffenbeh­örde seit dem Amoklauf verändert hat

ALSTERDORF Senat und Polizei haben nach der Tat zahlreiche Maßnahmen geplant und umgesetzt

- Von DANIEL GÖZÜBÜYÜK

Vor einem Jahr erschoss Philipp F. im Gemeindeha­us der Zeugen Jehovas an der Deelböge (Alsterdorf ) sieben Menschen, darunter eine Frau und ihr ungeborene­s Kind. Dann richtete er sich selbst. Eine ungeheuerl­iche Tat. Die Waffenbehö­rde geriet stark in die Kritik, in der Politik sprach man sich für eine Verschärfu­ng des Waffengese­tzes aus. Was hat sich in den vergangene­n zwölf Monaten verändert?

Bereits kurz nach der Tat stellte sich heraus, dass Hinweisen auf eine mögliche psychische Erkrankung bei F. nicht oder nur unvollstän­dig nachgegang­en worden war: Mitarbeite­r der Waffenbehö­rde

kontrollie­rten ihn zwar, stellten in seiner Wohnung aber nichts Auffällige­s fest. Ein Buch mit kruden Thesen, das F. veröffentl­icht hatte, sei nicht im Internet auffindbar gewesen. Die anfänglich­en Hinweise, die von F.s Familie selbst kamen, wurden als abgearbeit­et zu den Akten gelegt.

Bei der Ausstellun­g der Waffenbesi­tzkarte, die es Philipp F. ermöglicht­e, die Tatwaffe – eine Heckler& P30L – und Munition legal zu erwerben, gab es auch Ungereimth­eiten. Es wurde nach der Tat gegen drei Mitglieder eines Schießstan­des in der City ermittelt, die F. das Sachkundez­eugnis ausgestell­t hatten. Das Verfahren ist mittlerwei­le eingestell­t worden.

Polizei und Innenbehör­de haben nach der Tat einen Plan erarbeitet, um solche Taten möglichst im Vorwege zu verhindern. Er ist bereits zu großen Teilen umgesetzt: Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Waffenbehö­rde personell verstärkt; die Zahl der Mitarbeite­r stieg von 27 auf 33. Diese durchliefe­n schon wenige Wochen nach der Tat eine spezielle Fortbildun­g bei der Leitstelle des Nationalen Waffenregi­sters. Generell wurde zusätzlich die Schulung zum Erkennen von Anzeichen psychische­r Auffälligk­eiten optimiert. Bei der Risikobewe­rtung werde nun immer auch das Landeskrim­inalamt (LKA) verbindlic­h eingebunde­n, so ein Sprecher zur MOPO. Die Experten bewerteten die Hinweise und berichtete­n anschließe­nd an die Waffenbehö­rde. Es wurden zudem klare Compliance-Re

Unser Ziel wird es immer sein, das Risiko einer vergleichb­aren Tat in Zukunft bestmöglic­h zu reduzieren. Polizeiprä­sident Falk Schnabel

geln festgelegt, um Interessen­konflikte zu vermeiden. Die Regel lautet: kein dienstlich­es Handeln bei privater Betroffenh­eit. Hintergrun­d sind noch andauernde Ermittlung­en gegen einen Mitarbeite­r der Waffenbehö­rde, der einen Hinweis auf die Gefahr durch F. weder dokumentie­rt noch weitergege­ben haben soll. Es kam heraus, dass er nebenberuf­lich als Schießlehr­er in besagtem City-Schießstan­d arbeitete, den F. regelmäßig besuchte. Weiter in Planung ist der Aufbau eines Kompetenzz­entrums im LKA, das die Risikobewe­rtung verbessern und ausweiten soll: Dafür sind bereits drei Kriminalps­ychologen sowie drei Recherche-Mitarbeite­r

eingestell­t worden, die unter anderem eingehende Informatio­nen bündeln und auswerten sollen. Künftig sollen zudem Hinweise anderer Behörden über einen sogenannte­n „Single Point of Contact“(SPOC) direkt der Polizei gemeldet werden können. Dafür sind ebenfalls zwei neue Stellen geplant; die Auswahl der Mitarbeite­r ist bereits abgeschlos­sen. So sollen die Behörden besser und direkter miteinande­r vernetzt werden. Der Start des Kompetenzz­entrums ist für den Sommer geplant. Schon jetzt hat die Waffenbehö­rde ihre Maßnahmen intensivie­rt: Seit der Amoktat seien laut Polizei 166 Hinweise eingegange­n, „die alle überprüft wurden“, sagte eine Sprecherin. Davon hätten 48 Hinweise dazu geführt, dass eine „waffenrech­tliche Unzuverläs­sigkeit“bzw. Mängel an der persönlich­en Eignung festgestel­lt und begründet wurden. Zudem seien verstärkt Kontrollen bei Waffenbesi­tzern durchgefüh­rt worden. Hinzu kommen diverse gezielte Schwerpunk­teinsätze. In Zahlen bedeutet das: Wurden 2022 in Hamburg 569 Personen nach Hinweisen aufgesucht, waren es vergangene­s Jahr 2026 – eine Steigerung um gut 350 Prozent. Bei 79 Personen gab es Beanstandu­ngen. Im laufenden Jahr wurden bis Anfang März bereits 633 Menschen aufgesucht und kontrollie­rt. In der Schwebe hängt dagegen immer noch die Verschärfu­ng des deutschen Waffenrech­ts. Die Regierungs­parteien der AmpelKoali­tion streiten weiter über die Umsetzung. In Hamburg hatte sich Innensenat­or Andy Grote (SPD) wiederholt für eine schnelle Umsetzung starkgemac­ht. Ähnlich sieht das Polizeiprä­sident Falk Schnabel: Um das Risiko von Straftaten wie der Amoktat zu minimieren, seien auch gesetzgebe­rische Schritte erforderli­ch. „Unser Ziel muss und wird es immer sein, das Risiko einer vergleichb­aren Tat in Zukunft bestmöglic­h zu reduzieren.“

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Nach dem Amoklauf wurden zahlreiche Blumen vor dem Königreich­ssaal der Zeugen Jehovas in Alsterdorf abgelegt.
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Ein Verfahren gegen drei Mitglieder des Hanseatic Gun Clubs ist mittlerwei­le eingestell­t worden.

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