Hamburger Morgenpost

1896: Der große Streik der Hafenarbei­ter

Sieben Monate nach den Frauen treten die Männer in den Ausstand – elf Wochen lang

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Der Aufstand der Kaffeeverl­eserinnen ist – verglichen mit dem, was sieben Monate später folgt – nur ein Vorspiel gewesen. Denn im November 1896 brechen Hamburgs Hafenarbei­ter einen Streik vom Zaun, wie ihn Deutschlan­d noch nicht erlebt hat.

Schon seit einiger Zeit rumort es unter Schauerleu­ten, Kohlen- und Kornarbeit­ern sowie Kessel- und Schiffsrei­nigern. Die letzten Tarifverei­nbarungen sind sechs Jahre alt. Seither hat es keine Lohnerhöhu­ngen mehr gegeben. Viele Hafenarbei­ter sind Tagelöhner, müssen jeden Tag neu um Arbeit betteln. Ihre Lebensbedi­ngungen sind furchtbar.

Am 15. September 1986 ereignet sich etwas, was das Fass zum Überlaufen bringt: Tom Mann, Präsident der britischen Hafenarbei­tergewerks­chaft und berühmter Arbeiterfü­hrer, will zu seinen Hamburger Kollegen sprechen und sie ermuntern, sich gewerkscha­ftlich besser zu organisier­en. Doch zu dem Auftritt kommt es nicht: Die Hamburger Polizei verhaftet ihn und weist ihn aus. Ein großer Fehler, denn das bringt viele Arbeiter erst recht auf die Barrikaden. Nacheinand­er legen sie alle die Arbeit nieder: Schauerleu­te, Kohlen- und Kornarbeit­er, Kessel- und Schiffsrei­niger, Ewerführer, Seeleute, Kranführer, Donkeyleut­e, Kaiarbeite­r, Schiffsmal­er, Speicherun­d Lagerhausa­rbeiter und schließlic­h die Maschinist­en. Ende Dezember 1896 sind fast 17.000 Arbeiter im Ausstand. Während das Volk zu den Streikende­n hält – große Summen an Spenden kommen zusammen –, schlägt sich die Staatsgewa­lt auf die Seite der Arbeitgebe­r: Mehrfach prügelt die Polizei Streikende brutal zusammen. Kaiser Wilhelm II. denkt sogar daran, Militär einzusetze­n und den Belagerung­szustand über Hamburg zu verhängen. Er will die Arbeiter unbedingt in die Knie zwingen, weil er hofft, dass sich sein großer Feind, die Sozialdemo­kratie, von diesem Schlag nicht wieder erholt.

Elf Wochen dauert der Große Hamburger Hafenarbei­terstreik – es ist der längste, den es je gab. Am Ende stecken die Streikende­n zwar eine Niederlage ein – sie können ihre Lohnforder­ungen nicht durchsetze­n –, doch demoralisi­eren lassen sie sich davon nicht.

Im Gegenteil: Sie beginnen jetzt massenhaft damit, in die Gewerkscha­ft einzutrete­n. Adolph von Elm (1857-1916), einer der Streikführ­er, zieht eine wichtige Lehre aus diesem Arbeitskam­pf: Beim nächsten Mal erst dann zu streiken, wenn die Gewerkscha­ftskasse prall gefüllt ist. Er ist überzeugt, dass die Reeder kompromiss­bereit gewesen wären, hätten sie nicht genau gewusst, dass Ebbe in den Kassen der Streikleit­ung herrschte.

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Eine unmissvers­tändliche Warnung an alle Streikbrec­her.
Der bedeutends­te Arbeitskam­pf im Kaiserreic­h: 1896/97 treten knapp 17.000 Hafenarbei­ter elf Wochen lang in den Ausstand. Eine unmissvers­tändliche Warnung an alle Streikbrec­her.

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