Haiti: Droggen-Banden wing gen Premier zum Rücktritt
ERPRESSUNG Die Kriminellen kontrollieren große Teile des Landes – und hatten mit einem Bürgerkrieg gedroht
KINGSTON – Die Krise im Karibikstaat Haiti spitzt sich zu: Seit dem Mord an Präsident Moïse im Juli 2021 ist die Sicherheitslage immer schlechter geworden. Kriminelle Banden legten zuletzt einen großen Teil des Landes lahm, griffen Flughäfen und Polizeiwachen an. Jetzt haben sie ein politisches Ziel erreicht – Interims-Premierminister Ariel Henry tritt zurück.
Haiti brauche Frieden und Stabilität, sagte Henry in einer Videobotschaft in der Nacht zum Dienstag. Der Interims-Premier sitzt derzeit wegen der Bandengewalt im Ausland fest. Nun soll ein siebenköpfiger Präsidialrat gegründet werden, der den Übergang hin zu Wahlen anstimmt. Sobald das geschehen sei, lege er das Amt nieder, sagte Henry. Zuvor hatten die Banden, die inzwischen weite Teile des Landes kontrollieren, seinen Rücktritt gefordert. Sie handeln vor allem mit Drogen, erpressen Schutzgelder und kontrollieren so die Wirtschaft des Karibikstaats, der nicht einmal so groß ist wie Brandenburg. Nach Angaben der Vereinten Nationen hatten sie schon vor Beginn der aktuellen Gewaltwelle etwa 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince in ihrer Lage vollends eskaliert, inzwischen gilt ein landesweiter Ausnahmezustand. Die zwei mächtigsten Banden schlossen sich zusammen und forderten Henrys Rücktritt – andernfalls werde es zu einem Bürgerkrieg kommen, drohte der Bandenchef Jimmy Chérizier alias „Barbecue“. Die Banditen legten große Teile Haitis mit ihrer Gewalt lahm: Seit mehr als einer Woche gibt es keine Flüge von und nach Haiti mehr. Auch wurden mehr als 4500 Häftlinge gewaltsam aus Gefängnissen befreit. Zahlreiche Diplomaten und
auch der deutsche Botschafter haben Haiti inzwischen verlassen.
Henry hatte am 20. Juli 2021, rund zwei Wochen nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse, als Interims-Premier die Regierungsgeschäfte in Haiti übernommen. Moïse hatte ihn keine 36 Stunden vor seinem Tod zum siebten Premierminister seiner Amtszeit erkoren. Allerdings hatte Henry das Amt vor dem Attentat noch nicht angetreten. Unter der Führung des 74-jährigen Neurochirurgen wurden Wahlen mit Verweis auf die Sicherheitslage mehrmals verschoben und bis heute nicht nachgeholt. Die rund elf Millionen Einwohner des Karibikstaats haben derzeit keine gewählten nationalen Amtsträger – weder einen Präsidenten noch ein Parlament. Nahrungsmittel und Wasser sind mittlerweile knappe Güter.
Der Druck auf Henry, sein Amt niederzulegen, wurde immer größer. Die USA, denen viele Haitianer und politische Experten nachsagen, Henry bislang an der Macht gehalten zu haben, forderten ihn auf, den politischen Übergang hin zu Wahlen zu beschleunigen. US-Außenminister Antony Blinken sprach am Montag von einer unhaltbaren Situation für die Haitianer.
Ich fordere alle Haitianer dazu auf, Ruhe zu bewahren und alles für den Frieden und die Stabilität des Landes zu tun. Ariel Henry