Hamburger Morgenpost

Russen haben (k)eine Wahl

Gewinner steht schon im Vorfeld fest – auch in den besetzten Gebieten

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MOSKAU/LUHANSK – Das letzte Mal hat Wladimir Putin sich 2018 dem Votum seines Volkes bei Präsidente­nwahlen gestellt. Er gewann mit 77 Prozent. Und auch dieses Mal wird die Sache ähnlich deutlich werden. Denn damals wie heute gibt es keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Und die Wahrschein­lichkeit von Manipulati­onen ist auch recht hoch. Diese „Wahl“wird von westlichen Experten als Farce gesehen. Und dennoch ist sie wichtig für den russischen Präsidente­n, der auch in den besetzten ukrainisch­en Gebieten abstimmen lässt.

➤ Wie geht die Wahl vonstatten? Vom 15. bis zum 17. März sind insgesamt mehr als 112 Millionen Menschen zur Stimmabgab­e aufgerufen – darunter 4,5 Millionen in den völkerrech­tswidrig annektiert­en ukrainisch­en Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischs­chja und Cherson. Hinzu kommen rund zwei Millionen Wahlberech­tigte in anderen Ländern. Mit Schließung der letzten Wahllokale am Sonntag um 19 Uhr unserer Zeit werden erste Prognosen veröffentl­icht. Spätestens am 28. März soll das Endergebni­s verkündet werden. ➤ Wie ist die Wahl in der Ostukraine einzuordne­n? Die Scheinabst­immungen in den besetzten Gebieten sind völkerrech­tswidrig und deshalb internatio­nal nicht anerkannt. Die Urnengänge dort haben bereits begonnen und sorgen auch deshalb für Verstörung, weil Bilder zeigen, wie Ukrainer teils in Anwesenhei­t schwer bewaffnete­r russischer Soldaten zur Stimmabgab­e gedrängt werden. Auch auf der seit 2014 völkerrech­tswidrig annektiert­en Krim wird abgestimmt. Für Putin sind die Ergebnisse in den besetzten Gebieten von besonderer Bedeutung. Bei einem guten Abschneide­n wäre das ein willkommen­es Signal: Die Menschen dort unterstütz­en die russische Besatzung.

➤ Gibt es ernst zu nehmende Gegenkandi­daten? Kurz gesagt: Nein. Putins drei Mitbewerbe­r – der Kommunist Nikolai Charitonow, der Liberale

Wladislaw Dawankow und Leonid Sluzki von der nationalis­tischen Partei LDPR – sind nicht nur völlig chancenlos, sie sind in wesentlich­en Punkten auch voll auf Kreml-Linie. Jedem von ihnen prognostiz­ieren die staatliche­n Meinungsfo­rscher fünf bis sechs Prozent der Stimmen.

Viele echte Opposition­spolitiker sind entweder ins Ausland geflohen oder in Russland festgenomm­en und zu teils drakonisch­en Haftstrafe­n verurteilt worden. Für besonderes Entsetzen sorgte

Mitte Februar zudem der Tod des inhaftiert­en Kremlgegne­rs Alexej Nawalny, der vor einigen Jahren selbst einmal Präsidents­chaftskand­idat werden wollte.

Die einzigen wirklich opposition­ellen Bewerber Jekaterina Dunzowa und Boris Nadeschdin wurden von der Wahlkommis­sion gar nicht erst als Kandidaten zugelassen. In Telegram-Gruppen werben indes Putin-Gegner, erstens Nawalny auf den Stimmzette­l zu schreiben. Und zweitens jeweils um 12 Uhr mittags wählen zu gehen. Lange Schlangen als stiller Protest quasi.

➤ Gibt es unabhängig­e Wahlbeobac­hter? Nein. Mit ein Grund, warum die internatio­nale Gemeinscha­ft teils von nicht demokratis­chen Wahlen spricht. Auch diesmal wird mit Manipulati­onen allerorten gerechnet. Es bleibt eine Wahlshow. Die nur einen Sieger kennen wird.

Staatliche Meinungsfo­rscher sagen einen Kantersieg Putins mit 82 Prozent vorher.

 ?? ?? Wahlszene im besetzten Cherson: Sowohl der anwesende Soldat als auch das Bild an der Wand erinnern daran, wer wohl gewinnen wird.
Wahlszene im besetzten Cherson: Sowohl der anwesende Soldat als auch das Bild an der Wand erinnern daran, wer wohl gewinnen wird.
 ?? ?? Präsident Putin (2.v.l.) und seine „Gegner“im russischen Staats-TV
Präsident Putin (2.v.l.) und seine „Gegner“im russischen Staats-TV
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