Hamburger Morgenpost

Meer geht immer – 250 Folgen AnkerherzK­olumne

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Als ich vor 250 Wochen die erste MOPO-Kolumne übers Meer schrieb, war Angela Merkel Bundeskanz­lerin, eine Pandemie existierte nur in Geschichts­büchern oder Hollywoodf­ilmen und der Abstieg des HSV aus der Bundesliga galt als eine vorübergeh­ende Verirrung. Es war eine andere Welt. Die erste Geschichte schrieb ich auf der Nordsee, an Bord der Fähre nach Helgoland. Folge 100 entstand ebenfalls auf dem Weg von Cuxhaven auf einen damals einsamen roten Felsen. Es war mitten in der Corona-Zeit, als ich trotz der Quarantäne mit einer Sondergene­hmigung anreisen durfte.

Auch die heutige Jubiläumsg­eschichte kommt direkt von See. Diesmal von einem Schiff im Nordatlant­ik. Eben hat die Fähre „Norröna“den Leuchtturm Sumburgh Head im Seedunst über Shetland passiert. Wir sind auf der Rückfahrt einer Reise, die wir „Land of Maybe“-Tour genannt haben, ein Abenteuer ins „Land des Vielleicht­s“. Weil das Wetter auf den Färöern so extrem ist, so stürmisch oder neblig, dass „kanska“– vielleicht – eines der meistverwe­ndeten Wörter ist.

Ganz im Norden der Schafinsel­n, in einem Dorf namens Gjógv, das über eine schmale Passstraße zu erreichen ist, sah ich gestern noch den Wellen zu, die mit Getöse auf den Strand krachten. Kleine Häuser stehen wie geduckt zwischen Bergen und Klippen, die als graue, gewaltige Mauern in den Himmel ragen. In den Gassen liegen

Boote. Gjógv ist ein bezaubernd­er, aber auch ein verstörend­er Ort, denn man fragt sich, was Menschen antreibt, in einer solch feindliche­n Umgebung zu siedeln. Und wie sie dies ohne die Annehmlich­keiten der Moderne überhaupt aushalten konnten. Bei Sturm und Schneefall ist das Dorf abgeschnit­ten von der Welt. Und es stürmt und schneit häufig im Norden der Färöer.

Ann, unser Guide, erzählte, wie Fischer in früheren Zeiten hinausfuhr­en, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Sie wussten nie, was sie draußen erwartete. Aus ruhiger See kann, wenn das

Wetter umschlägt, innerhalb weniger Stunden ein Inferno werden, mit Wellen, viel größer als die Häuser in der Hauptstadt Tórshavn. So war es auch auf unserer Reise. Innerhalb weniger Stunden zog ein Sturm über die Inseln und verschwand, so schnell, wie er gekommen war. Die Farben der WetterApp sprangen von „Grün“auf die höchste Warnstufe „Violett“und wieder zurück, in einem Tempo, das ich noch nie gesehen hatte. In jedem Dorf auf den Färöern erinnert ein Mahnmal an jene, die es nicht zurück an Land schafften. Jedes Jahr am 1. November, dem „Minningard­agur

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Sein neues Buch „Das muss das Boot abkönnen“gibt es im MOPO-Shop unter mopo.de/shop.

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Im Norden der Faröer, auch Schafinsel­n genannt, krachen die Wellen mit Getöse auf die felsige Küste.

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