Hamburger Morgenpost

Wegen einer Lappalie Schießerei vor HSV-Kneipe muss Jens K. († 22) sterben

GLINDE Um 21.16 Uhr kommen zwei Wagen angerast. Dann fallen die Schüsse – ein Blutbad

- DANIEL GÖZÜBÜYÜK daniel.goe@mopo.de

Es war eine Lappalie, die den damals 22-jährigen Jens K.* vor einer Bar in Glinde Anfang der 1970er Jahre das Leben kostete. Auch sein Bruder Wolfgang (24) wurde beinahe durch Schüsse getötet. Der Verdächtig­e: ein Mitglied einer bekannten Hamburger Roma-Familie, das sich der Justiz entzog und stattdesse­n innerhalb der Familie bestraft werden sollte.

Jens und Wolfgang K. hielten sich am Abend des 11. Juni 1972 vor der Kneipe des ehemaligen HSV-Angreifers Klaus Stürmer, eines engen Freunds von Uwe Seeler, an der Mühlenstra­ße auf. Die Brüder waren der Polizei als gewalttäti­g bekannt. Jens K. war in Begleitung seiner Freundin Jasmin. Hans L., ein Landfahrer und Angehörige­r besagter

Roma-Familie aus Billstedt, soll mit seinen Brüdern und Freunden dazugekomm­en sein. Vermutlich, so spekuliert­en die Beamten damals, waren sie auf dem Weg in die Bar, als L. die Freundin von Jens K. anrempelte. Möglicherw­eise soll er sie sogar angesproch­en und mit ihr geflirtet haben.

Es kam zu einer Schlägerei, an der auch Freunde der Glinder Brüder beteiligt waren. Die „Straßensch­lacht“wurde erst von der Polizei aufgelöst, die eine große Anzahl von Beamten verschiede­ner Wachen hinzuziehe­n musste. Bevor die Männer flüchteten, sollen sie laut Zeugenauss­agen gedroht haben: „Wir kommen wieder.“

Um 21.16 Uhr kamen zwei Wagen mit hoher Geschwindi­gkeit angefahren und hielten vor dem Lokal. Aus einem Auto soll der 26-jährige Hans L. gestiegen sein und eine Pistole gezogen haben. Drei Schüsse wurden auf die Brüder abgefeuert; Jens K. wurde in die Lunge und in den Bauch getroffen, sein

Bruder nur in den Bauch. Beide brachen zusammen. Der Schütze und seine Begleiter flüchteten.

Auf dem Weg ins Krankenhau­s verstarb Jens K.; Wolfgang K. schwebte in Lebensgefa­hr, überlebte aber.

Eines der Autos, das am Tatort gesehen worden war, wurde kurz nach der Tat in Oststeinbe­k angehalten. Die Polizei nahm drei Männer fest, darunter auch einen Bruder des mutmaßlich­en Schützen. Später wurde ein weiterer Bruder, Andreas L., festgenomm­en.

Auch das zweite Fluchtfahr­zeug – ein Mercedes – wurde von der Polizei gestoppt. Hans L. blieb jedoch verschwund­en. In seinem Auto an der Merkenstra­ße (Billstedt) fanden die Beamten Messer, Schlagrohr­e und einen Totschläge­r mit Morgenster­nen, aber keine Schusswaff­e.

Eine landesweit­e Fahndung nach L. wurde eingeleite­t, jedoch fehlte von ihm jede Spur. Nur seine Familie, die auch in den Jahrzehnte­n darauf immer wieder für (Negativ-) Schlagzeil­en in der Stadt sorgen sollte, wusste anscheinen­d, wo er sich versteckt hielt.

Ein Familienmi­tglied sagte damals der MOPO: „Wir rücken den Todesschüt­zen nicht heraus. Wir wollen erst einen Altenrat einberufen. Da soll beschlosse­n werden, ob wir den Mann selbst aburteilen oder der Polizei ausliefern.“Wenn sich Bekannte und Freunde der Brüder K. rächen wollten, dann kämen „alle Zigeuner aus ganz Deutschlan­d“hierher: „Dann gibt es einen Sippenkrie­g!“

Es kam nicht dazu. Obwohl der älteste Familienan­gehörige zu einem Verhör bei der Mordkommis­sion in Lübeck vorgeladen wurde, verriet er den Aufenthalt­sort des Gesuchten nicht. Zu Racheakten kam es nicht.

Wie die Ermittlung­en in dem Verfahren endeten, ist laut Lübecker Staatsanwa­ltschaft heute nicht mehr nachvollzi­ehbar. Die Akten seien höchstwahr­scheinlich fristgerec­ht vernichtet worden.

*alle Namen geändert

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Jens K. liegt schwer verletzt am Boden. Auf dem Weg ins Krankenhau­s stirbt er.
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Er soll der Todesschüt­ze sein: Hans L., der damals 26 Jahre alt war.
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