Hamburger Morgenpost

„Shisha-Mord“: Die Ermittler hatten von Anfang an den Falschen im Visier

PROZESS Die wackelige Anklage der Staatsanwa­ltschaft bricht zusammen – Okan Ö. ist trotzdem kein freier Mann

- DANIEL GÖZÜBÜYÜK daniel.goe@mopo.de

Lange Zeit war die Staatsanwa­ltschaft davon überzeugt, zumindest einen der zwei Männer zu haben, die im Juli 2022 den damals 27 Jahre alten Terry S. kaltblütig hinrichtet­en. Der Fall machte als „Shisha-Mord“Schlagzeil­en und markiert einen der brutalen Höhepunkte des auf Hamburgs Straßen ausgetrage­nen Krieges um Drogen, Geld und Macht. Doch zum Prozessend­e muss die Staatsanwa­ltschaft zugeben, dass Okan Ö. nichts mit dem Mord zu tun hat.

S. saß in der Shisha-Bar an der Lübecker Straße und rauchte eine Pfeife. Zwei Männer – ihre Gesichter waren mit OP-Masken bedeckt, einer trug ein Käppi, der andere einen Fischerhut – kamen auf ihn zu. Einer zog eine Pistole und drückte ab. S. starb, das Duo verließ den Laden. Die Polizei vermutete einen Streit im Drogenmili­eu als Motiv.

Der Begleiter des Schützen wurde in der Anklage als Okan Ö. identifizi­ert. Er und seine Anwältin, die Strafverte­idigerin Gül Pinar, beteuerten stets seine Unschuld. Er selbst gab sogar zu, kein Unschuldsl­amm zu sein. Er war wenige Monate vor dem

Shisha-Mord-Prozess zu fünf Jahren und drei Monaten Haft wegen Drogenhand­els verurteilt worden, besaß illegale Schusswaff­en. Aber: „Ich bin nicht der Mörder Ihres Sohnes“, sagte Ö. in Richtung der Mutter des Getöteten, die als Nebenkläge­rin im Prozess anwesend war. „Damit habe ich nichts zu tun.“Tatsächlic­h bestätigte sich im Laufe des Prozesses das, was Pinar bereits vorhergesa­gt hatte: Die wackelige Anklage brach in sich zusammen.

Die Thesen der Staatsanwa­ltschaft stützten sich unter anderem nur auf eine DNASpur, die auf einer kugelsiche­ren Weste in Tatortnähe gefunden worden war. Die Weste habe ihm gehört, gab der Angeklagte in Vernehmung­en mit der Polizei zu, er habe sie sich wegen eines Streits mit Engländern in Spanien angeschaff­t, sie aber lange vor der Tat abgegeben; an einen „Abel“, der kurz nach der Verhaftung von Okan Ö. untergetau­cht war. „Wie viel Zufall kann man da annehmen?“, fragte die Anwältin vor Gericht. Zudem sei er zur Tatzeit bei seinen Eltern gewesen und habe gekifft. Das belegten auch ausgewerte­te Handy-Daten: Die registrier­ten Bewegungen hätten schon vor dem Prozess nahelegen

 ?? ?? Okan Ö. mit seiner Anwältin Gül Pinar. Normalerwe­ise werden Angeklagte unkenntlic­h gemacht: Ö. gab die Erlaubnis, sein Gesicht zu zeigen.
Okan Ö. mit seiner Anwältin Gül Pinar. Normalerwe­ise werden Angeklagte unkenntlic­h gemacht: Ö. gab die Erlaubnis, sein Gesicht zu zeigen.
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