Hamburger Morgenpost

Die Nicholas-CageSupers­how

DREAM SCENARIO Selten war der Schauspiel­er mehr auf der Höhe seines Könnens als in dieser bösen, aber liebevoll inszeniert­en Medien-Satire

- Von MATTHIAS VON VIERECK

Der runde Geburtstag liegt noch gar nicht so lange zurück: Anfang Januar wurde Nicolas Cage 60. Mehr als 100 Filmauftri­tte hat das Schauspiel-Chamäleon in seinem Portfolio. Nun zeigt uns der Norweger Kristoffer Borgli den exzentrisc­hen Workaholic Cage als verschrobe­nen Uni-Lehrer, der plötzlich in den Träumen seiner Mitmensche­n auftaucht.

Nicholas Cages Schauspiel­kunst lässt sich nur schwer in eine Schublade einordnen. Der Hollywoods­tar nimmt sich immer wieder die Freiheit zu gänzlich schrägen Figuren: In „Pig“(2021) zum Beispiel spielt er einen Eremiten, der mit einem Trüffelsch­wein lebt. In „Dream Scenario“schlüpft er nun in die Rolle eines Evolutions­biologen: Seit Jahren unterricht­et Paul Matthews an einem US-College und führt ein nicht schlechtes, aber doch recht biederes, abwechslun­gsarmes Leben.

Mit der Tochter geht’s plötzlich los. Immer wieder träumt sie von ihrem Dad, der sich in diesen Träumen als stets passiver Zuseher präsentier­t. Egal was passiert, Paul steht nur reglos daneben. Bald wundert er sich selbst: „Warum stehe ich immer nur rum?“

Und dann taucht Paul in den Träumen wildfremde­r Menschen auf, die ihn sogar auf der Straße fragen, ob man sich nicht irgendwohe­r kenne. Auch in den Träumen seiner Studenten spielt er nun regelmäßig eine Rolle. Paul wird zur Medien-Berühmthei­t. Und schließlic­h in seinen Träumen von sich selbst heimgesuch­t: einer düsteren Version seines Ichs, das etwa mit einer Armbrust auf ihn Jagd macht.

„Dream Scenario“, eine gekonnt zwischen realen und geträumten Szenen changieren­de Komödie, erinnert mal an Mediensati­ren wie „Die Truman Show“, mal aber auch an famose TV-Produktion­en wie „Breaking Bad“. Während in „Breaking Bad“ein Chemielehr­er zum Drogenboss mutiert, avanciert hier ein biederer Bio-Professor zum Medienstar. Paul lässt sich diese Metamorpho­se zunächst gefallen – sogar seine Teenie-Töchter finden ihn plötzlich (fast) cool. Doch allmählich schwant dem zunehmend überforder­ten Hochschull­ehrer immer mehr, auf welchem Trip er sich befindet: Nicht nur, dass Paul an jeder Ecke erkannt wird, in keinem Restaurant mehr seine Ruhe hat – sukzessive häufen sich nun auch die Berichte darüber, dass Paul in den Träumen seiner Mitmensche­n immer grausamere Dinge tut: Einem seiner Studenten schlägt er den Schädel ein.

Was Paul nun widerfährt, wird nicht nur in den USA, sondern auch in Europa gern unter dem umstritten­en Begriff „Cancel Culture“diskutiert: Paul wird gemieden, ja öffentlich geächtet, nicht mal mehr zum Theaterabe­nd seiner Tochter darf er. Dabei kann er doch, stellt er

einmal verzweifel­t fest, nun wirklich nichts dafür, dass alle Welt von ihm träumt: „Das sind doch deren Träume!“Eine klare Haltung zum Thema „Cancel Culture“findet Regisseur Borgli nicht. „Dream Scenario“ist kein politische­r Film. Dafür ist das Geschehen auch viel zu skurril. Hauptdarst­eller Cage hat sich in Interviews dahingehen­d geäußert, dass er das Drehbuch zum Film eher als eine Analyse des Umgangs mit Ruhm gelesen habe.

Egal aber, ob man diesen Film nun als Mediensati­re liest, als skurriles Horrorstüc­k (mit einigen unheimlich­en Szenen), als surreale Komödie mit ernstem Unterton, als Groteske oder gar als warnender Blick in die Zukunft: „Dream Scenario“regt zum Nachdenken, zum Mitfühlen und zum Staunen an. Zum Staunen aber vor allem über einen Nicolas Cage, der einfach immer wieder für Überraschu­ngen gut ist. Sein Spiel ist von großer Ehrlich-, von anrührende­r Menschlich­keit. Er treibt einem die Tränen in die Augen – nicht immer vor Lachen. In manchen Momenten muss man an Cages vielleicht eindrückli­chste Darstellun­g denken: an den Film, für den der Amerikaner seinen bisher einzigen Oscar erhielt – „Leaving Las Vegas“. Ganz so derangiert wie 1995, als sich seine Figur in Las Vegas gänzlich dem Alkohol hingab, ist sein Biologiepr­ofessor zwar nicht. Die zerbrechli­che Menschlich­keit aber ist bei beiden Figuren ähnlich. Und nirgends so gut aufgehoben wie bei dem Ausnahme-Mimen.

102 Minuten, ab 12 J., Abaton (OmU), Studio-Kino (OmU), UCI Mundsburg + Wandsbek

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Woran der Professor hier wohl denkt? Im Film wird er plötzlich zum Medienstar.
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Paul Matthews (Nicholas Cage) führt ein nicht schlechtes, aber doch recht biederes, abwechslun­gsarmes Leben.
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 ?? ?? Irgendwann wundert sich Paul selbst: „Warum stehe ich immer nur rum?“
Irgendwann wundert sich Paul selbst: „Warum stehe ich immer nur rum?“
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Nicholas Cage spielt einen verschrobe­nen Uni-Lehrer, der plötzlich in den Träumen seiner Mitmensche­n auftaucht.

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