Große Debatte über 35-Stunden-Woche
Die GDL-Einigung mit der Bahn hat neuen Schwung in eine alte Diskussion gebracht
BERLIN – Der Tarifstreit zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Bahn war nicht nur einer der härtesten der vergangenen Jahre, er scheint auch neuen Schwung in die Debatte über verkürzte Arbeitszeitmodelle zu bringen. Kommt bald die 35-Stunden- oder gar die Vier-Tage-Woche für alle? In welchen Branchen wäre das überhaupt umsetzbar? Und droht uns dann Wohlstandsverlust? Politik und Wirtschaft reden sich die Köpfe heiß.
Unter anderem Politiker von Grünen und der Linken finden nach dem GDl-Abschluss: Auch in anderen Branchen könnte eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich die Zukunft sein. „Insbesondere für stark belastete Berufe ist Arbeitszeitverkürzung eine Option“, sagte etwa der Grünen-Arbeitsmarktexperte und Ex-Verdi-Chef Frank Bsirske dem „Tagesspiegel“. Ähnlich sieht das Bernd Riexinger von der Linkspartei, ebenfalls im „Tagesspiegel“: „Ich bin überzeugt davon, dass weitere Berufsgruppen wie die Beschäftigten im ÖPNV, Erzieherinnen und Pfleger folgen werden.“Negativ äußerte sich unter anderem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Die Bahn stehe „im Wettbewerb mit anderen Schienenunternehmen,
und deswegen wird das Auswirkungen auf die Preise haben für die Verbraucherinnen und Verbraucher, das ist klar“. Sprich: Die GDL sei schuld an baldigen Preiserhöhungen. Auch Unions-Vertreter betonen, dass bei weniger Arbeit auch weniger Leistung herumkomme. Oliver Stettes, Arbeitswelt-Experte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), stützt diese Ansicht:
„Um zum Beispiel eine Verkürzung von 40 auf 32 Wochenstunden wirtschaftlich tragfähig zu gestalten, benötigen wir eigentlich einen Produktivitätszuwachs von 25 Prozent pro Arbeitsstunde.“Im vergangenen Jahrzehnt habe der aber im Schnitt bei nur einem Prozent jährlich gelegen. Der Chef des Ifo-Wirtschaftsinstituts Clemens Fuest sieht hingegen grundsätzlich ein Zukunftsmodell. In der westdeutschen Metallindustrie etwa gilt seit 1996 die 35-Stunden-Woche. Fuest und diverse Kollegen konnten dort keine Wohlstandsverluste feststellen. Allerdings sieht Fuest erstens Ausnahmen in bestimmten Branchen, zweitens fordert er weiter Flexibilität: „Das wichtigste Ergebnis an dieser Einigung ist, dass die Arbeitszeit flexibel ist. Das ist für den Umgang mit der Fachkräfteknappheit besser als eine zwangsweise Senkung.“
Das wichtigste Ergebnis an dieser Einigung ist, dass die Arbeitszeit flexibel ist. Clemens Fuest, Ifo-Institut