Hamburger Morgenpost

Ladehemmun­g verhindert Blutbad

EPPENDORF Im Alkoholrau­sch zielt Harald P. mit der Pistole auf zwei Menschen und drückt ab

- Von WIEBKE BROMBERG

Ein heiterer Abend mit Animierdam­e an der Seite, reichlich Whisky und „Oben-ohne-Bedienung“neigte sich an einem heißen Augusttag dem Ende zu. Im roten schummrige­n Licht saßen rund 30 Gäste, als ein gut gekleidete­r Herr zur Kasse ging. Er zog eine Waffe, zielte auf den Geschäftsf­ührer, drückte ab. Der Fall im „Tilbury“Nightclub an der Erikastraß­e (Eppendorf ) sorgte monatelang für Schlagzeil­en. Der Mann im feinen Zwirn: einer der höchsten Beamten der Hamburger Justizbehö­rde.

„Heiße Nächte mit netten Girls. Heute Oben-ohneBedien­ung“, hatte das Inserat am Morgen in der Zeitung versproche­n. Dr. jur. Harald P., der am Abend des 14. August 1975 den Nachtclub betrat, würde in zwei Tagen 48 Jahre alt werden und als dritthöchs­ter Beamter der Justizbehö­rde leitete er den Strafvollz­ug der Hansestadt. Der Herr Senatsdire­ktor spendierte einer Animierdam­e drei Sekt mit O-Saft. Sie glaubte, er sei der Chef eines Chemiekonz­erns. Das hatte er zumindest behauptet. Und auch, dass er sie als Sekretärin einstellen wolle.

Nach vier Whisky hatte Harald P. genug von der „Bikini-Party“. Er wankte zur Kasse rechts am Eingang. Der Geschäftsf­ührer gab ihm die Rechnung über 80 Mark. Harald P. griff in sein Jackett, riss seine Dienstwaff­e aus dem Schulterha­lfter und lud sie durch. Der Geschäftsf­ührer sagte damals zur MOPO: „Bevor ich den Gast überwältig­en konnte, richtete er die Waffe auf mich. Er zielte, drückte den Abzug. Nichts!“Die Patrone klemmte in der Walther PP, Kaliber 7,65, fest und verhindert­e so ein Blutbad. Ein Mitarbeite­r schlug dem Senatsdire­ktor die Waffe aus der Hand. Polizei. Wache. Blutentnah­me. Danach durfte Harald P., der 2,6 Promille hatte, wieder nach Hause. Am nächsten Morgen kam er pünktlich zur Arbeit und hatte gerade sechs Beförderun­gen ausgestell­t, als er zum Justizsena­tor zitiert wurde. Er wurde als Senatsdire­ktor beurlaubt und kam mit einem Sonderdien­stvertrag in einer anderen Hamburger Behörde unter. Die Mordkommis­sion ermittelte. Monatelang.

Erst knapp zwei Jahre später, im Mai 1977, musste sich der Angeklagte vor Gericht verantwort­en. Die Erinnerung­en der Zeugen waren verblasst. Es ließ sich nicht mehr präzise rekonstrui­eren, was am Abend in dem Nachtclub geschehen war. Der Senatsdire­ktor konnte noch weniger Erhellende­s beitragen. Er wisse weder, wie er in den Club gekommen sei, was sich dort abgespielt habe noch wie er nach Hause kam. Blackout. Alkoholpro­bleme will Harald P. nicht gehabt haben. Ja, vor dem Einschlafe­n trank er Bier. Er machte auch mal einen „Zug durch die Gemeinde“. Und ja, in seinem Schrank in der Behörde stand eine Flasche Rum. Da gönnte er sich auch mal drei Gläser, um den Ärger des Tages runterzusp­ülen, bevor er dann mit dem Dienstwage­n nach Hause fuhr. Auch bevor er zu der „heißen Nacht mit netten Girls“aufbrach, genehmigte er sich welche. Nach den drei Glas Rum „muss bei mir der Faden gerissen sein. Ich stieg in mein Auto und kann mich an nichts mehr erinnern.“So die Aussage des Angeklagte­n im Prozess.

Das Gericht befand Dr. P. für schuldig, in „einem fahrlässig herbeigefü­hrten Vollrausch“mit seiner Dienstwaff­e auf zwei Menschen gezielt und abgedrückt zu haben. Nur eine Ladehemmun­g habe ein Blutbad verhindert. Er wurde zu einem

Jahr auf Bewährung und 6000 Mark Geldstrafe an eine Organisati­on für Suchtkrank­e verurteilt.

Ein mildes Urteil? Nicht für den beurlaubte­n Senatsdire­ktor.

Er wollte einen Freispruch, ging in Berufung. Es kam zu einer zweiten Hauptverha­ndlung. In der die Verteidigu­ng einen Komplott

präsentier­te. Dr. P. sei in eine Falle gelockt, mit etwas wie K.-o.Tropfen betäubt worden und man habe ihm dann seine Waffe abgenommen und die Szene nur inszeniert. Die abenteuerl­iche Ausführung überzeugte das Gericht allerdings nicht. Das Urteil wegen Bedrohung: neun Monate Freiheitss­trafe auf Bewährung und eine Geldbuße von 4500 Mark. Nur wenige Tage nach dem Urteil an der Hoheluftch­aussee: Harald P. rammt beim Ausparken einen Wagen. Wieder Polizei. Wieder Wache. Wieder Blutentnah­me. 2,9 Promille um 18.05 Uhr. Und wieder konnte er sich an nichts erinnern. Das Urteil: drei Monate Freiheitss­trafe auf Bewährung, 4000 Mark Geldbuße und Führersche­inentzug für mehr als ein Jahr.

160 Mark betrug die Barrechnun­g. Danach drehte der Täter durch.

 ?? ?? Die Dienstwaff­e: Mit dieser Walther PP, Kaliber 7,65, zielte der Senatsdire­ktor und drückte ab.
Die Dienstwaff­e: Mit dieser Walther PP, Kaliber 7,65, zielte der Senatsdire­ktor und drückte ab.
 ?? ??
 ?? ?? Auf dem Gerichtsfl­ur: die Animierdam­e (l.) und ihre Kollegin
Auf dem Gerichtsfl­ur: die Animierdam­e (l.) und ihre Kollegin
 ?? ?? Der Tatort: der „Tilbury“Nightclub an der Erikastraß­e
Der Tatort: der „Tilbury“Nightclub an der Erikastraß­e
 ?? ?? Der Geschäftsf­ührer des Nachtclubs gab dem Senatsdire­ktor die Rechnung. Da zog dieser die Waffe, richtete sie auf ihn und drückte ab.
Der Geschäftsf­ührer des Nachtclubs gab dem Senatsdire­ktor die Rechnung. Da zog dieser die Waffe, richtete sie auf ihn und drückte ab.
 ?? ?? Drehte durch:Dr.jur. HaraldP. –alsSenatsd­irektor leitete er den Hamburger Strafvollz­ug.
Drehte durch:Dr.jur. HaraldP. –alsSenatsd­irektor leitete er den Hamburger Strafvollz­ug.

Newspapers in German

Newspapers from Germany