Gerät das System Erdogan jetzt ins Wanken?
Regierungspartei AKP verliert in den wichtigsten Städten. Neue Anwärter auf das Präsidentenamt
ANKARA – Die Dinge in der Türkei scheinen ins Rutschen zu geraten. Bei den jüngsten Kommunalwahlen hat die konservative Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdogan eine derbe Klatsche erlitten. Selbst der sonst so wortgewaltige Präsident gibt sich ernüchtert.
Die Kommunalwahl war ein Triumph für die Opposition. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, erklärte sich in den zwei größten Städten des Landes, Istanbul und Ankara, zum Sieger. In der wichtigsten Wirtschaftsmetropole gingen 26 der 39 Stadtbezirke an die CHP, in der Hauptstadt Ankara 16 von 25 Bezirken. Auch in Izmir, Adana und Antalya siegten Bürgermeister der CHP. Während diese Siege nicht überraschend waren, konnte die Opposition dieses Mal auch mehrere Städte und Provinzen, die bisher fest in der Hand der nationalistisch AKP waren, für sich gewinnen, darunter die als erzkonservativ geltende Stadt Bursa und das 2023 vom Erdbeben stark getroffene Adiyaman. „Leider haben wir nicht die Ergebnisse erzielt, die wir uns gewünscht haben“, sagte Erdogan am Sitz seiner AKP in Ankara vor einer ungewöhnlich stillen Menschenmenge. „Wir werden natürlich die Entscheidung der Nation respektieren.“Für Erdogan besonders bitter: Istanbul, in dem er in den 90er Jahren selbst Bürgermeister war, ging bereits zum zweiten Mal an Amtsinhaber Ekrem Imamoglu. Es war das erklärte und „wichtigste“Ziel der AKP, die politische Macht in der Millionenstadt zurückzugewinnen. Imamoglu sparte wohl auch deshalb nicht an pathetischen Worten: „Morgen ist ein neuer Frühlingstag für unser Land.“Die Wahl markiere „das Ende der demokratischen Erosion in der Türkei und das Wiederauf
leben der Demokratie“, sagte Imamoglu und bezeichnete seinen Sieg als „von großer Bedeutung“.
Die Gründe für die AKP-Niederlage sehen viele in der wirtschaftlichen Lage des Landes. Vor allem die sehr hohe Inflation macht vielen einfachen Türken zu schaffen. Es wehe ein „neuer Wind“durch die Türkei, schrieb die regierungsnahe „Hürriyet“dazu.
In Ankara erklärte sich der amtierende Bürgermeister Mansur Yavas von der CHP ebenfalls zum Wahlsieger. Die beiden Bürgermeister könnten in vier Jahren – wie Erdogan 2003 – über die größeren Rathäuser des Landes in die Regierungszentrale in Ankara einziehen. „Wie werden bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2028 ein Rennen zwischen Imamoglu und Yavas erleben“, kommentierte die „Hürriyet“. „Imamoglu ist Erdogans Gegner bei der nächsten nationalen Wahl“, schrieb auch Soner Cagaptay vom „Washington Institute“bei Twitter/X. Der Bürgermeister von Istanbul habe „die Chance, Präsident der Türkei zu werden“. Erdogan selbst hatte allerdings angekündigt, für ihn seien die Kommunalwahlen die letzten. Der 70-Jährige tritt 2028 also vermutlich nicht mehr an. Nach dem Wahldebakel forderte er die AKP-Anhänger auf, die „verbleibenden vier Jahre nicht zu verschwenden“.