Hamburger Morgenpost

Mit der Kraft des DreiMinute­nPopsongs

INTERVIEW Kettcar-Frontmann Marcus Wiebusch über politische Stücke und Liebeslied­er – und das Beinahe-Ende seiner Band

- Das Interview führte WIEBKE TOMESCHEIT-BÖSENBERG

Pop und Politik, Zorn und Zärtlichke­it, festivalta­uglich und feinsinnig – mit ihrem neuen Album „Gute Laune ungerecht verteilt“, das am Freitag rauskommt, suhlen sich die Hamburger Indierocke­r von Kettcar in der Gegensätzl­ichkeit. Und genau so möchten sie das haben. Im MOPOP-Interview verrät Frontmann Marcus Wiebusch (55), warum die Platte dennoch kein Selbstläuf­er war.

MOPOP: Wie wichtig war es euch, dass das neue Album ein politische­s ist?

Marcus Wiebusch: Ich habe persönlich das Gefühl – und das deckt sich auch mit der ganzen Band –, dass es noch nie so schlimm war wie jetzt. Und zwar deshalb, weil wir quasi nur noch von Krise zu Krise zu Krise hecheln und weil es Kräfte gibt, auch zunehmend in unserem Land, die dem, was ich als Demokratie erhalten wissen will, ernsthaft entgegenst­reben. Das finde ich besorgnise­rregend. Aber wir können als Antwort darauf in einem Drei-Minuten-Popsong nur ein kleines Gefühl vermitteln. Wenn wir das Gefühl der maßlosen Überforder­ung etwa im Stück „Auch für mich sechste Stunde“formuliere­n und den Leuten so zeigen, dass wir auch keine Lösung haben – aber dass eben nicht alles verloren ist.

Glaubt ihr, dass man mit Musik die Welt retten kann?

Ich finde, dass wir alle mit Herz und Verstand an die Probleme rangehen und nicht zu einfachen Lösungen tendieren sollten. Das übersetze ich in Kunst, und so was ist mir wichtig. Ich glaube nicht, dass Musik die Welt verändern kann. Aber ich weiß, dass meine ganze musikalisc­he Sozialisat­ion mein Leben extrem geprägt hat. Mir geht es in Zeiten wie diesen eher darum, dass man Gemeinscha­ft stiftet. Dass man auch gerade auf Konzerten das Gefühl hat: Ich bin nicht alleine mit dem, was ich fühle. Das muss sich gar nicht in so einem matschigen Wohlfühl-Wir Bahn brechen, in erster Linie muss es uns zeigen: Wir teilen zu 98 Prozent dieselben Werte. Auch wenn wir hier und da mal unterschie­dlicher Meinung sind. Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet?

2017 kam das letzte Album, 2019 haben wir noch eine EP gemacht, wir haben dazwischen noch superviel getourt – dann kam Corona. Corona ist mir überhaupt nicht bekommen. Dazu hatte ich privat eine schwere Krise, die mich relativ hart aus der Bahn geworfen hat, da war ich gefühlt zwei Jahre lost. Es hat so einen kurzen Moment gegeben, wo ich dachte, wir machen Kettcar viel

Wir zeigen den Leuten, dass wir auch keine Lösung haben – aber dass eben nicht alles verloren ist. Marcus Wiebusch

leicht nicht weiter, und „Ich vs. Wir“ist unser final hooray. Ich wusste nicht, wann ich je wieder mit meiner Band Musik machen und Geld verdienen kann. Aber nach der Krise haben wir dann so richtig Gas gegeben. Das war davon geprägt, dass Reimer mit sehr starken Texten um die Ecke kam. Er hat ja „München“geschriebe­n, und als wir den Song hatten, als wir so ein paar Bretter hatten, hat es richtig Fahrt aufgenomme­n. Wie habt ihr denn die Themen für eure Songs ausgewählt? Eine Liste mit 100 gesellscha­ftlichen Problemen verfasst und überlegt, welche am dringendst­en mal thematisie­rt werden sollten?

Mir ist nur wichtig, dass wir jetzt auch nicht die Polit-Onkel sind, die die Themen abhaken und ein durchgängi­g politische­s Album machen. Mir war zu dem Zeitpunkt, an dem wir diese ganzen politische­n Bretter hatten, dann auch wichtig, solche Songs zu schreiben wie „Zurück“.

Ein klassische­s Liebeslied. Wir sind Menschen, die sehr stark darauf hoffen, dass man uns nicht eindimensi­onal wahrnimmt. Deshalb schreiben wir auch Liebeslied­er. Diese Dichotomie – das eine ist das eine und das andere das andere – existiert für uns gar nicht. Wir machen Kunst, und unsere Kunst soll spannend sein.

Du hast jetzt aber vor, auf jeden Fall weiterzuma­chen, richtig? Also ja, hinschmeiß­en ist jetzt erst mal nicht angesagt. Jetzt steht ja Touren an, wir werden sehr viel spielen im Verlauf des Jahres. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich etwas in mir schlummern fühle: Ob ich nicht mal versuche, das Buch zu schreiben, das ich mir schon so lange vorgenomme­n habe.

Und das Touren ist jetzt der Part, der dir Spaß macht?

Ja! Das ist jetzt der FunTeil an der ganzen Geschichte. Frag mich noch mal am Ende des Jahres, wenn ich dann mein 69. Konzert in den Knochen habe ... (lacht)

Album: „Gute Laune ungerecht verteilt“, ab Freitag via Grand Hotel Van Cleef/Indigo;

Konzert: 27.4., 19.30 Uhr, Sporthalle, 49,80 Euro

Treffen sich zwei Taschendie­be. Fragt der eine: „Wie geht’s?“Sagt der andere: „Wie man’s nimmt!“

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Kettcar, das sind (v. l.) Erik Langer, Reimer Bustorff, Marcus Wiebusch, Lars Wiebusch und Christian Hake
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Starkes Album: „Gute Laune ungerecht verteilt“

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