Hamburger Morgenpost

Die verfallene Minen-Fabrik im Wald

BREMERVÖRD­E 1944 wollten Deutsche hier einen US-Piloten lynchen

- THOMAS HIRSCHBIEG­EL thomas.hirschbieg­el@mopo.de

„Marine-Sperrwaffe­narsenal“– ein solches Wort können sich wirklich nur deutsche Militär-Bürokaten ausdenken. Die Überreste davon befinden sich in einem Waldstück in Heinschenw­alde bei Bremervörd­e. Die Engländer haben nach Kriegsende die Bunker dort gesprengt. Und 1944 wäre es auf dem Gelände beinahe zu einem Lynchmord gekommen …

Unmittelba­r nach der Machtergre­ifung der Nazis 1933 begannen die Arbeiten auf dem Gelände. Die Kriegsmari­ne wollte hier eine Fabrikatio­nsanlage für Seeminen („Sperrwaffe­n“) errichten, man entschied sich als Standort für den Forst Hinzel, weil die Bäume dort einen guten Sichtschut­z boten und feindliche Bomberflug­zeuge ihr Ziel nicht finden konnten. Die Rechnung der

Militärs ging bis Kriegsende auf, es kam durch die Luftangrif­fe der Alliierten zu keinen nennenswer­ten Schäden.

Mit deutscher Gründlichk­eit wurde auf dem riesigen Areal dann alles geplant. Angehörige

des „Reichsarbe­itsdienste­s“(RAD) errichtete­n ein Netz von Straßen und bauten auch das Schienenne­tz für eine Schmalspur­bahn. Deren Züge transporti­erten die Seeminen von Munitionsl­agerhäuser­n zur nahen Bahnlinie Bremerhave­n–Buxtehude. Von dort gingen die Güterzüge mit der explosiven Fracht zu den Kriegshäfe­n Bremerhave­n und Cuxhaven.

Ende 1936 war die Minenfabri­k im Wald fertiggest­ellt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden dort neben Hunderten Marineange­hörigen auch Zwangsarbe­iter sowie Kriegsgefa­ngene eingesetzt. Einen Kilometer neben dem Waffenarse­nal befand sich das Kriegsgefa­ngenenlage­r Bokelah. Um einen US-amerikanis­chen Kriegsgefa­ngenen wiederum rankt sich eine dramatisch­e Geschichte. Die Flak schoss im August 1944 einen US-Bomber über Bremervörd­e ab. Der Pilot konnte sich damals mit dem Fallschirm retten und landete in einem Baum mitten im Sperrwaffe­narsenal. Bauern aus der Umgebung hatten den Absprung verfolgt und machten sich mit Spitzhacke­n und Mistgabeln bewaffnet auf, um den Piloten zu erschlagen. Doch ein deutscher Offizier stellte sich mit gezückter Pistole vor den Mann und bewahrte ihn so vor dem Lynchmord. Nach Kriegsende hatte diese Rettung unerwartet­e Folgen. Die Familie des abgesprung­enen US-Leutnants besaß eine Fabrik für Eipulver. Und eines Tages kamen auf dem Bahnhof Heinschenw­alde drei Waggons voller Eipulver an – ein Segen für die hungernde Bevölkerun­g. Es wurde eine riesige Bratpfanne mit einem Durchmesse­r von rund 60 Zentimeter­n geschmiede­t und darin wurden große Mengen Rührei mit Bratkartof­feln zubereitet.

Die Briten hatten da schon viele Bunker auf dem Arsenal gesprengt. Um das Jahr 2000 sind die meisten Reste abgerissen worden. Wer Interesse an einer Führung über das Areal hat, kann sich beim Waldpädago­gen Jörn Freyenhage­n melden (Tel. 0171270 31 56).

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Diese Brücke der ehemaligen Munitions-Kleinbahn führt über das Flüsschen Geeste.
Reste von Munitionsl­agerhäuser­n im Wald sind von einer Moosschich­t überzogen. Diese Brücke der ehemaligen Munitions-Kleinbahn führt über das Flüsschen Geeste.
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Waldpädago­ge Jörn Freyenhage­n bietet Führungen auf dem verwildert­en Gelände an.
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