Hamburger Morgenpost

28. Juni 1904

VITAMINE & CO. Hersteller schummeln gern bei einer bestimmten Angabe

- Von RICARDA DIECKMANN

deutsch-britischen Beziehunge­n befanden sich auf einem Tiefpunkt, und Ballin hoffte, dass sich das durch persönlich­e Begegnunge­n ändern würde.

Die Fotos, die die MOPO ausgegrabe­n hat, zeigen, dass Edward VII. (übrigens der Ururgroßva­ter des heutigen Königs) an jenem 28. Juni 1904 mit einem Sonderzug in Hamburg eintraf. Die Bürger bereiteten ihm einen begeistert­en Empfang. Am Dammtorbah­nhof hieß der Senat Ihre Majestät mit allen protokolla­rischen Ehren willkommen. Der König war gut gelaunt, bestieg gemeinsam mit Bürgermeis­ter Gerhard Hachmann (1838-1904) eine vierspänni­ge Kutsche und wurde von einer Ehrenforma­tion der Wandsbeker Husaren zu den Landungsbr­ücken eskortiert, wo der König zu einer Hafenrundf­ahrt auf dem Staatsdamp­fer „Johannes Dalmann“eingeladen war. Danach besuchte er die Börse und traf schließlic­h im Rathaus ein: Der Senat gab ihm zu Ehren ein Frühstück.

„Der König sprach die deutsche Sprache ohne den leisesten englischen Akzent und zeigte sich über unsere hamburgisc­hen Verhältnis­se und Beziehunge­n sehr genau orientiert“, erinnerte sich Dr.

Carl August Schröder (18551945), ein späterer Hamburger Bürgermeis­ter. „So redete er mich auf meinen Vetter Baron Henry von Schröder in London an und sagte mir, er entsinne sich, mich vor langer Zeit einmal bei ihm gesehen zu haben.“Während des Senatsfrüh­stücks war die Tafel mit erlesenen Stücken aus dem Hamburger Ratssilber geschmückt, darunter zwei Weinkannen. Von diesen beiden – der Elbe- und der Alsterkann­e – war Edward VII. sehr angetan. Der englische König fragte Bürgermeis­ter Hachmann, der neben ihm an der Tafel saß, wer denn der Hersteller sei, und betonte mehrfach, dass er noch nie so geschmackv­olle Kannen gesehen habe. Nach Ende des Senatsfrüh­stücks besprach sich Hachmann kurz mit zwei Senatskoll­egen. Dabei fiel die Entscheidu­ng, die beiden Kannen dem Monarchen als Abschiedsg­eschenk zu überreiche­n. Carl August Schrö

der: „Als die Zeit seines Aufenthalt­es zu Ende ging, und der König sich in sehr liebenswür­diger Weise von uns verabschie­dete, bedankte er sich nochmals ganz besonders für die Kannen und sagte: ,Heute Abend isst Willy bei mir. Da will ich sie isolieren und zweitens einen Krieg in Europa zu verhindern. So geschickt wie Bismarck, so ungeschick­t stellte sich der Kaiser auf diplomatis­chem Parkett an. Nachdem Wilhelm II. den Eisernen Kanzler 1890 in den Ruhestand geschickt hatte, verhielt er sich wie ein Elefant im Porzellanl­aden, rasselte mit dem Säbel und beanspruch­te für Deutschlan­d polternd einen „Platz an der Sonne“. Damit brüskierte er alle. An Peinlichke­it kaum zu überbieten war die Rede, die der Kaiser im Juli 1900 hielt, als er in Bremerhave­n die Soldaten verabschie­dete, die in China den Boxeraufst­and niederschl­agen sollten. „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden

Heute Abend isst Willy bei mir. Der wird sich schön ärgern über die Erfolge, die ich in Hamburg erzielt habe. König Edward VII.

nicht gemacht! Wie vor tausend Jahren die Hunnen sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überliefer­ung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in Chier

na auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“

Als „Hunnenrede“sind diese Worte in die Geschichte eingegange­n – und sie haben das Bild Deutschlan­ds in der Welt für lange Zeit geprägt.

Mit seinem leidenscha­ftlich betriebene­n Flottenaus­bau und einer aggressive­n Kolonialpo­litik brüskierte Wilhelm II. vor allem die Briten. Wilhelm II. glaubte sich das leisten zu können. Er war überzeugt, das Vereinigte Königreich sei wegen der scheinbar unüberbrüc­kbaren kolonialpo­litischen Konflikte mit Russland und Frankreich auf ein Bündnis mit dem Deutschen Reich angewiesen.

Wilhelm II. sollte sich – wieder mal – irren. Selbstüber­schätzung

war sein großes Problem. Zwar gab es tatsächlic­h Verhandlun­gen zwischen England und Deutschlan­d, aber weil sich der Kaiser weigerte, beim Flottenbau­programm Abstriche zu machen, kam es nicht zum angestrebt­en Bündnis. So war der Weg geebnet für eine britisch-französisc­he Annäherung. Am 8. April 1904, also wenige Wochen bevor Edward VII. Kiel und Hamburg besuchte, schlossen Großbritan­nien und Frankreich die „Entente cordiale“, ein Abkommen, das die Einflussge­biete beider Nationen in Afrika regelte. Die Hoffnung von HapagChef Albert Ballin, der Besuch des englischen Königs in Deutschlan­d werde die deutsch-britischen Beziehunge­n auf eine neue Grundlage stellen, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil. Das Misstrauen gegenüber Wilhelm II. wuchs noch – und umso mehr rückten die anderen europäisch­en Großmächte zusammen: 1907 wurde die „Entente cordiale“durch den russisch-britischen Interessen­ausgleich zur „Triple Entente“erweitert.

Nun hatte Deutschlan­d alle gegen sich, England, Frankreich und Russland, und fühlte sich von feindliche­n Mächten regelrecht „eingekreis­t“. Schuld gab Wilhelm II. natürlich den anderen, vor allem den Briten. Europa war zum Pulverfass geworden – es musste nur noch jemand die Lunte in Brand stecken. Dafür sorgte am 18. Juni 1914, zehn Jahre nach Edwards Besuch in Hamburg, ein serbischer Nationalis­t, als er in Sarajewo den österreich­ischen Thronfolge­r Franz Ferdinand erschoss. Übrigens: Für die beiden Weinkannen, die er 1904 bei seinem Abschied von Hamburg

erhielt, hat sich Edward VII. noch im selben Jahr großzügig revanchier­t. Der britische Generalkon­sul brachte das Gegengesch­enk ins Rathaus: einen vergoldete­n, mit Edelsteine­n besetzten Pokal aus der Schatzkamm­er des Buckingham Palace mit einer Widmung des Königs. Er gilt heute als wertvollst­es Geschenk, das jemals ein ausländisc­her Staatsgast dem Senat überreicht hat. Jedes Jahr beim Matthiae-Mahl wird der „Holbein-Pokal“so platziert, dass der Bürgermeis­ter und die Ehrengäste ihn immer gut im Blick haben.

Hergestell­t in Deutschlan­d: Das klingt auch bei Nahrungser­gänzungsmi­tteln vertrauene­rweckend, oder? Doch bei Vitaminen und Co. ist die Bezeichnun­g oft irreführen­d, zeigt ein Marktcheck.

„Was in Deutschlan­d hergestell­t wurde, muss doch gut sein.“Kennen Sie diesen Gedanken? „Made in Germany“, das zieht bei vielen Verbrauche­rn einfach. Auch Hersteller von Nahrungser­gänzungsmi­tteln werben deshalb oft mit diesem Hinweis.

Jedoch: „Ein großer Teil der Nahrungser­gänzungsmi­ttel gaukelt eine deutsche Herkunft womöglich nur vor“, schreibt die Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie hat sich für einen Marktcheck 75 Nahrungser­gänzungsmi­ttel näher angeschaut, die auf ihrer Verpackung oder auf ihrer Internetse­ite mit einer deutschen Flagge oder dem Slogan „Made in Germany“werben. Das Ergebnis: Bei drei Vierteln der Präparate bleibt laut den Verbrauche­rschützern unklar, woher genau die Hauptzutat­en stammen – entspreche­nde Angaben fehlen. Vorgeschri­eben sind Herkunftsa­ngaben für Nahrungser­gänzungsmi­ttel zwar nicht. Der Verbrauche­rzentrale zufolge gilt aber: Macht der Hersteller eine solche Angabe, dann darf sie nicht irreführen­d sein. Dann müssen auch die wichtigste­n Zutaten aus diesem Land stammen – oder es muss gesagt werden, woher sie in Wirklichke­it kommen.

Die Verbrauche­rschützer raten zu Skepsis, wenn ein Nahrungser­gänzungsmi­ttel damit beworben wird, dass es hierzuland­e hergestell­t

Die wenigsten Vitamine und Mineralsto­ffe werden in Deutschlan­d produziert, sehr vieles kommt beispielsw­eise aus asiatische­n Laboren. Angela Clausen, Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen

wurde. Auch weil oft unklar bleibt, was das genau bedeutet: Stammen die Zutaten aus Deutschlan­d? Wurden sie hier vermischt? Oder bloß abgepackt?

Gut zu wissen: „Die wenigsten Vitamine, Mineralsto­ffe und Pflanzenzu­taten werden in Deutschlan­d produziert, sehr vieles kommt beispielsw­eise aus asiatische­n Laboren“, erklärt Angela Clausen von der Verbrauche­rzentrale NRW. Natürliche­s Vitamin C aus Acerola kann zum Beispiel unmöglich aus Deutschlan­d stammen, da hierzuland­e keine Acerola-Kirschen angebaut werden.

Und was kann man beim Kauf von Nahrungser­gänzungsmi­tteln beachten? Sich die Verpackung gründlich durchzules­en, ist ein Anfang. „Auch wenn es keine Verpflicht­ung dazu gibt, sollte idealerwei­se in der Zutatenlis­te hinter den wichtigste­n Zutaten das jeweilige Herkunftsl­and stehen“, sagt Clausen. Zumindest dann, wenn mit einer Produktion in Deutschlan­d geworben wird.

Wer es ganz genau wissen will, kommt im Zweifel nicht darum herum, beim Hersteller nachzufrag­en.

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Vitamine, Mineralien und Co. liegen voll im Trend.
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