Hamburger Morgenpost

„Nur so kann Billstedt zusammenwa­chsen“

JUGENDLICH­E Warum es im Stadtteil viel Kriminalit­ät gibt – und was helfen könnte

- Das Interview führte PAULINE REIBE

Billstedt hat einen der höchsten Migrantena­nteile (62,7 Prozent) und eine der höchsten Arbeitslos­enquoten (8,7 Prozent) Hamburgs, die meisten Wohnungsei­nbrüche (111, 2022) und die meisten Autodiebst­ähle (61, 2022) im Bezirk Hamburg-Mitte. Dass fehlende Integratio­n und Kriminalit­ät oft Hand in Hand gehen, ist längst kein Geheimnis mehr. „Man muss in Billstedt kriminell sein, um was zu werden.“Das sagte ein Jugendlich­er dem ehemaligen Polizisten Jens Mollenhaue­r.

Der 60-jährige Mollenhaue­r wird auch „Rocky“genannt, ist Sprecherra­t des Bundesnetz­werks Zivilcoura­ge und hat ein Buch mit dem Titel „Herzgewalt“geschriebe­n, in dem es darum geht, Jugendlich­e wieder auf die richtige Spur zu bringen. Die MOPO hat ihn gefragt: Wie kann man die jungen Menschen aus diesem Teufelskre­is rausholen?

MOPO: Herr Mollenhaue­r, ist Billstedt so kriminell und gefährlich, wie viele denken?

Jens Mollenhaue­r: Das kann man so nicht pauschalis­ieren. Billstedt hat viele schöne, auch grüne Ecken, in denen es sich gut wohnen lässt, in denen man joggen kann, auch einige Einzelwohn­häuser. Aber es gibt auch geballte Wohngebiet­e, in denen viel Konfliktpo­tenzial lauert. Die Menschen sind wenig durchmisch­t und es besteht die Gefahr, dass eine Art Ghetto entsteht. Da gibt’s noch viel zu tun.

Woher rührt denn das Konfliktpo­tenzial?

In Billstedt leben multiethni­sche Gruppen mit den unterschie­dlichsten Kulturen. Zudem sehen viele junge Menschen immer noch wenig Aufstiegsc­hancen in ihrem Leben. Das führt zu Frust und schließlic­h auch zu Kriminalit­ät. Als ich noch Polizist in der Jugendarbe­it war, hat einer mal gesagt: „Man muss in Billstedt kriminell sein, um was zu werden.“Das stimmt nicht, aber viele denken immer noch so. So entstehen dann die schlimmen Schlagzeil­en aus dem Stadtteil. Was braucht es denn, um die Situation in Billstedt zu verbessern? Bildung, Bildung, Bildung. Die Beamten in Zivil, wie ich einer war, sind so wichtig, weil sie den Jugendlich­en Werte vermitteln. Viele Jugendlich­e sagten, ich sei „voll korrekt“, weil ich respektvol­l mit ihnen gesprochen habe und so zu einem Vorbild wurde. Das ist es, was diese jungen Leute brauchen: Ansprechpa­rtner auf Augenhöhe, die ihnen die Demokratie erklären, sie auf den richtigen Weg bringen oder ihnen auch beibringen, wie ein Strafverfa­hren abläuft. Leider wird in der Prävention­sarbeit gespart.

Müssen das immer Polizisten übernehmen?

Bitte nicht! Die Gelder fehlen in Kitas, Schulen, Jugendbetr­euung. Ganz wichtig ist auch der Gesundheit­sbereich. Der einzige Kinderarzt in Billstedt muss wegen Geldproble­men dichtmache­n. Ein völlig falsches Signal, denn auch das ist ein Ansprechpa­rtner, der ihnen zum Beispiel erklärt, dass Cola und Chips kein gutes Schulfrühs­tück sind, und der die Sprachentw­icklung fördert.

Wo kann man noch ansetzen, damit es besser wird? Freizeitan­gebote sind wichtig, vor allem Sport. Wenn die Jugendlich­en in Billstedt keinen Spaß haben, haben sie an der Alster Spaß, der irgendwann kein Spaß mehr ist. Wobei ich ausdrückli­ch betonen möchte, dass die Alster ein Ort für alle ist. Das vergessen die Menschen in der Innenstadt manchmal: dass die jungen Leute aus den östlichen Stadtteile­n auch dort entspannen dürfen, solange sie friedlich sind. Was erwarten Sie von Entscheide­rn? Integratio­n ist ein Dauerthema, und man muss sich immer und überall damit beschäftig­en, damit Billstedt zusammenwa­chsen kann. Entscheide­r müssen die Wichtigkei­t der präventive­n Arbeit begreifen und in Jugendschu­tzstellen investiere­n. Denn jede benötigt dringend Personal.

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Ex-Polizist Jens Mollenhaue­r kümmert sich um Jugendlich­e, die auf die schiefe Bahn geraten sind.
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In dem Stadtteil gibt es viele Hochhäuser wie hier an der Billstedte­r Hauptstraß­e.

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