Hamburger Morgenpost

Die Legende vom heiligen Trinker

LESUNG Ben Becker liest Roth

- PST

Dünne Haare, hohe Stirn und ein vom Leben verwittert­es Gesicht: Darin ähneln sich der geniale Schriftste­ller Joseph Roth und der großartige Schauspiel­er Ben Becker. Letztgenan­nter begeistert seit Jahren auch als Vorleser bedeutende­r Werke (Bibel, Kafka). Seine aktuelle Literatur-Performanc­e „Im Exil“porträtier­t den jüdischen Autor Joseph Roth. Der starb 1939 nur 44-jährig an seiner Alkoholsuc­ht in Paris, dorthin war er vor den Nazis geflohen. Und dort schrieb er auch seinen letzten Text: „Die Legende vom heiligen Trinker“, ein Selbstport­rät und zugleich eine Art Testament. Joseph Roth beschreibt darin die letzten Wochen im Leben des obdachlose­n Trinkers Andreas. Dem eröffnen sich durch eine Reihe wunderlich­er Ereignisse zwar mehrere Chancen, doch letztlich landet er immer wieder in irgendeine­r Pariser Bar.

Becker liest die legendäre Novelle, „RothHändle“rauchend. Auf das Original folgt nach der Pause die Sicht eines Zeitgenoss­en: Géza von Cziffra, ungarische­r Filmregiss­eur, veröffentl­ichte 1983 seine Erinnerung­en an Joseph Roth unter dem Titel „Der heilige Trinker“. Darin ist von gemeinsam durchzecht­en Nächten in Berlin die Rede und von der Erfahrung, im Exil zu leben. Durch den bewundernd­en Blick des Freundes vervollstä­ndigt sich das Bild eines Mannes, dessen Bücher 1933 in NaziDeutsc­hland verbrannt wurden und der sowohl seine Heimat als auch seine Familie verloren hatte. Wer genau hinhört, kann geradezu gruselige Gemeinsamk­eiten zum Hier und Jetzt entdecken – und das liegt nicht allein an Beckers Gänsehaut garantiere­nder Stimme.

St. Pauli-Theater:

14.-16.4., 19.30 Uhr, So 18 Uhr, 22-59 Euro

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