Hamburger Morgenpost

Eine Liebeserkl­ärung ohne Worte

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Freizügige Darbietung­en erwartete das Publikum im Pariser Nachtlokal „Folies Bérgère“. 1925, zur Glanzzeit des Charleston und Halbzeit der „Roaring Twenties“, galt der Anblick eines kurzgeschü­rzten Damenkörpe­rs auf der Tanzbühne nicht unbedingt als skandalträ­chtig. Aber so etwas hatte man noch nicht gesehen: eine 19-jährige Mulattin mit kurzem, geöltem Kraushaar, bekleidet lediglich mit einem

Gürtel aus Bananen. Sie wippte und wand sich zu Schlagzeug­Rhythmen, zu

Banjo- und Saxofonmel­odien – halb selbstbewu­sst, halb selbstverl­oren und immer mit kecker Komik. Am Ende ihrer Darbietung sprang sie in einen Bananenbau­m. „Ich mache nichts wie Unsinn“, beschrieb die Charleston-Lady ihre Show. „Ich streichle den glatzköpfi­gen Herren den Schädel. Ich zupfe die bärtigen Herren am Bart.

Und dann tanze ich mit all den dicken Damen.“Und das kam gut an. „Ihr Tanz ist eine Liebeserkl­ärung ohne Worte“, schwärmte ein Journalist im Pariser „Candide“. Das Glamourgir­l war vaterlos im ärmsten Viertel von St. Louis, Missouri, aufgewachs­en, wo sie mit der Mutter und drei Geschwiste­rn in einer einräumige­n Hütte hauste. Mit 16 Jahren verließ sie die Familie und tingelte auf Kleinbühne­n durch die USA. In New York schlief sie in Parkanlage­n, tagsüber belagerte sie den Direktor der „Musical Hall“am Broadway, der sie endlich für seine Tournee-Truppe engagierte, obwohl er sie „zu jung und zu hässlich“fand. 1925 kam das „hässliche Entlein“als Mitglied einer Tanzgruppe nach Paris und erhielt die Einladung zum Tanzsolo im „Folies Bérgère“. Das war der Durchbruch. „Eines schönen Tages“, erinnerte sie sich später, „war ich in allen Zeitungen, in allen Magazinen. Ich dachte: Ich hab’s geschafft.“Frankreich wurde ihre Wahlheimat, für die sie mit letzter Konsequenz einstand. Im Zweiten Weltkrieg schloss sich der Bühnenstar der Résistance an, besorgte den Alliierten das Original eines italienisc­hGeheimcod­es und entging einem Gestapo-Mordanschl­ag nur knapp. Nach Kriegsende kehrte die für ihren Einsatz mit dem Croix de Guerre, der Résistance-Rosette und dem Kreuz der Ehrenlegio­n ausgezeich­nete Künstlerin zur Bühne zurück. Um zu beweisen, dass „Brüderlich­keit zwischen den Völkern möglich ist“, adoptierte sie elf Kinder verschiede­nster Rassen und Religionen. Sie starb am 12. April 1975 in Paris, unmittelba­r nach einer triumphale­n USA-Tournee. Wie hieß sie?

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