Hamburger Morgenpost

„Die Tote am Tatort war meine 1. Liebe“

UHLENHORST Bestatter trugen Klassenkam­eradin an mir vorbei

- Von THOMAS HIRSCHBIEG­EL

Wie gesagt, es war 1973, als die 8. Klasse einer Realschule auf Klassenrei­se ging. Ziel: das Städtchen Saarburg bei Trier. Wir erkundeten dort die Burg, staunten über den kleinen Wasserfall mitten in der Altstadt und hatten bei Ausflügen in Weinberge g an der Saar Spaß.p Doch Brigitte

wurde krank und musste das Bett hüten. Ich kümmerte mich ein wenig um sie, brachte ihr Getränke und Obst, wir flirteten ganz unschuldig miteinande­r. Aus meiner kleinen Schwärmere­i als 14-Jähriger wurde nichts. Warum weiß ich heute nicht mehr. Vier Jahre später fing ich bei der MOPO als Polizeirep­orter an. Ich hörte Polizeifun­k und versuchte für die MOPO immer als Erster am Tatort zu sein. Das gelang mir 1983 auch, als es hieß, an der Kanalstraß­e sei in einer Wohnung eine junge Frau ermordet worden. Tötungsdel­ikte waren damals an der Tagesordnu­ng, es gab viel mehr Gewaltverb­rechen als heute.

Nun stand ich also etwas gelangweil­t am frühen Abend am Tatort. Ich plauderte mit einem Polizisten, er sagte über das Opfer: „Die soll als Callgirl gearbeitet haben. Da hat sie wohl ihr letzter Freier erschlagen.“Solche Morde an Prostituie­rten waren damals nicht selten. Kein Grund zur Aufregung für einen noch jungen, aber doch schon ziemlich abgebrühte­n Reporter wie mich. Ein Ermittler flüsterte mir dann den Namen des Opfers zu und ich erstarrte – es war meine Jugendlieb­e Brigitte.

Ich war kurz geschockt, fing mich aber wieder und machte meine Fotos. Später kam ich ins Grübeln. Brigitte, ein eher schüchtern­es und zurückhalt­endes Mädchen ein Callgirl? Ich wollte es nicht glauben. Doch die Ermittlung­en bestätigte­n das. Ihr viel älterer Freund geriet unter Verdacht. Von einer Lebensvers­icherung in Höhe von 600.000 D-Mark (300.000 Euro) war die Rede, die er für Brigitte abgeschlos­sen hatte.

Ich traf auf Brigittes Beerdigung ihre Eltern, sie waren überzeugt, dass der Lebensgefä­hrte für den Mord verantwort­lich war. Die Eltern sagten, dass Brigitte aufhören wollte mit der

Als Polizeirep­orter war MOPO-Urgestein Thomas Hirschbieg­el (64) ein harter Hund. Doch manchmal wurde es persönlich. Diese Einsätze gingen ihm nah.

Prostituti­on, dessen Profiteur ihr Freund war. Das waren starke Indizien, doch der Lebensgefä­hrte hatte ein Alibi. Brigittes Vater informiert­e mich, dass er den Freund seiner Tochter am Hauptbahnh­of treffen würde, da könnte ich den Mann fotografie­ren. Die beiden trafen sich auf einem Bahnsteig. Ich stand auf der Fußgängerb­rücke. Als ich später die Filme entwickelt­e, blieb ich beim Blick des Vaters hängen. Wie er den Mann ansah, werde ich nie vergessen. Der Vater war überzeugt, dass der Lebensgefä­hrte seiner Tochter einen Mörder angeheuert hatte, der Brigitte schließlic­h gegen Bezahlung getötet hat. Doch Beweise gab es keine. Der Mann strich die Lebensvers­icherung ein und erwarb dafür eine Eigentumsw­ohnung.

In meiner Zeit als Polieirepo­rter z habe ich über Hunderte Morde berichet. te Die meisten Fälle hab’ ic ch vergessen, vielleicht auch a verdrängt. Doch der Mord an Brigitte hat sich mir eingebrann­t. Ich denke noch oft an sie und die unbeschwer­te Klassenfah­rt 1973. hfr Foto:

Brigittes Lebensgefä­hrte geriet unter Verdacht, doch die Ermittlung­en gegen ihn wurden eingestell­t.

 ?? ?? Brigitte Weben (r.) als 13-Jährige mit einer Mitschüler­in der Schule Meerweinst­raße in Winterhude
Brigitte Weben (r.) als 13-Jährige mit einer Mitschüler­in der Schule Meerweinst­raße in Winterhude
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