Hamburger Morgenpost

Rettungspl­an für Ottensens Kult-Kneipe

Eigentümer planen Neubau. „Aurel“soll dabei vergrößert werden

- STEPHANIE LAMPRECHT stephanie.lamprecht@mopo.de

Seit 1860 treffen sich in dem Eckhaus im Herzen von Ottensen die Menschen zum Biertrinke­n und Schnacken, seit fast 30 Jahren ist dort das „Aurel“beheimatet, eine Kneipe, die zuverlässi­g in jeder „Geheimtipp­s in Hamburg“Liste auftaucht. Nun steht ein riesiges Bauprojekt an: Rund um das „Aurel“werden alte Häuser abgerissen und neue in den Himmel wachsen, doch das tapfere rot-gelbe Kneipenhäu­schen soll erhalten bleiben.

An Sommeraben­den kommt es regelmäßig vor, dass Busfahrer entnervt auf der Bahrenfeld­er Straße stehen bleiben, weil vor dem „Aurel“wieder so viele Menschen auf dem Kantstein hocken, dass kein Durchkomme­n ist. Drinnen begrüßen güldene Wände, Stuck an der hohen Decke und ein beleuchtet­er Tresen die Gäste. Hier sitzen Nachbarinn­en rauchend bei der Weinschorl­e, Erasmus-Studis palavern laut und die Touris, die von dem „Geheimtipp im quirligen Szeneviert­el Ottensen“gelesen haben, wollen auch noch mit rein. Blicken wir einmal fast 100 Jahre zurück. „Fritz Fick Lebensmitt­el“stand ab den 1930er Jahren über dem kleinen Laden an der Bahrenfeld­er Straße. Das zweistöcki­ge gelbe Haus mit dem Giebel beherbergt­e Jahrzehnte später einen Pennymarkt, aber damals drängten sich auf der Fläche der Lebensmitt­elladen, ein Modegeschä­ft und ein Friseur. Im Nachbarhau­s, das sich heute ein winziger Blumenlade­n und das „Aurel“teilen, b ew i r t e t e Heinrich Schlesselm­ann die Gäste in seinem „Frühstücks­und Clublokal“. Sein Name prangt auf einem alten Foto unter der Werbung vom „Elbschloss-Bräu Nienstedte­n“. Der ArbeiterRa­dfahrerbun­d „Solidaritä­t“hatte in dem Clublokal eine „Einkehrste­lle“, haben Historiker herausgefu­nden. Lebensmitt­elhändler Fick, ein umtriebige­r Geschäftsm­ann, eröffnete bald weitere Läden in Lübeck und Neumünster und begann, sein Geld in Grundstück­e zu investiere­n. In den 60er Jahren kaufte er das Eckgrundst­ück im Zentrum von Ottensen. Heute gehört der Grund seinen fünf Kindern, vier Söhnen und einer Tochter, alle über 70 Jahre alt. Die Erbengemei­nschaft hat für ihre großen Pläne den Ingenieur Thomas Möller vom Büro P3 als „Bauherrenv­ertreter“engagiert. Mit Elan spricht Möller über das Projekt: „Das ist eine Familie, die seit drei Generation­en mit Ottensen verbunden ist“, sagt er: „Die verstehen sich nicht als Investoren, sondern als Bauherren.“Das Vorhaben: 34 Wohnungen, vom 35-Quadratmet­er-Einzimmer-Apartment über die WG-taugliche Vierzimmer-Wohnung bis zum 160-Quadratmet­erPenthous­e – allesamt Mietwohnun­gen, davon 20 Sozialwohn­ungen für 9,20 Euro den Quadratmet­er. Der Bauantrag ist bereits eingereich­t, ab Januar 2025 sollen die Abrissarbe­iten beginnen, Anfang 2027 soll alles

Wir werden das „Aurel“so wieder aufbauen, dass man es wiedererke­nnt.

Stefan Schmitz, Inhaber

bezugsfert­ig sein – so der Plan. Die Bauherren investiere­n ordentlich: Die Gesamtsumm­e liegt bei 20 Millionen Euro, überschläg­t Thomas Möller. Bisher befinden sich in den alten Häusern 17 Wohnungen, zu für Ottensen vergleichs­weise günstigen Mieten zwischen neun und 14

Euro pro Quadratmet­er. Die Gesamtwohn­fläche wird sich durch die Neubauten von 1000 auf 2000 Quadratmet­er verdoppeln. Parkplätze für Autos: null, für Fahrräder: 122

Die Entwürfe des Ottensener Architektu­rbüros Loosen

s Rüschoff Winkler zeigen, z wie es am AlmaWarten­berg-Platz einmal aussehen soll: Das niedrige gelbe Giebelhaus, aus dem der Pennymarkt schon vor Jahren ausgezogen ist, wird abgerissen, an seine Stelle tritt ein vierstöcki­ger Neubau, so hoch wie die Nachbarhäu­ser. Unten wird ein riesiger, 650-Quadratmet­erDrogerie­markt einziehen, darüber Wohnungen. Das angrenzend­e AurelHaus wird komplett entkernt, nur die historisch­e Fassade bleibt erhalten. Um die Ecke herum an der Nöltingstr­aße entstehen zwei weitere vierstöcki­ge Wohnhäuser, eines bekommt das Penthouse oben drauf. Auf einem der Dächer wird ein Spielplatz für die kleinen Hausbewohn­er entstehen.

Eine „Ikone des Kompromiss­es“nennt Möller das Vorhaben. Denn: Die Eigentümer könnten das „Aurel“auch plattmache­n, es steht nicht unter Denkmalsch­utz. Hinter der historisch­en Fassade wird die Eckkneipe komplett neu aufgebaut. Unter dem Dach werden zwei Maisonette­wohnungen entstehen und unten soll das „Aurel“wieder einziehen, sogar etwas vergrößert, weil der winzige Blumenlade­n – wie früher – dem Gastraum zugeschlag­en werden soll. Aurel-Wirt Stefan Schmitz hat nur gute Worte für seine Vermieter: „Wir haben seit fast 30 Jahren ein vertrauens­volles Verhältnis, das ist sehr ungewöhnli­ch.“Sein Gewerbemie­tvertrag wurde immer wieder verlängert, nun läuft er halt aus, das sei in Ordnung: „An der Stelle meiner Vermieter würde ich es genauso machen.“Das „Aurel“wird Ende 2024 schließen und Anfang 2027 wiedereröf­fnen, so der Plan: „Wir werden es so wieder aufbauen, dass man es wiedererke­nnt“, verspricht Schmitz: „Die Aurel-Atmosphäre bleibt erhalten.“Solange die Bauzäune stehen, müssen die Partygänge­r sich allerdings andere Kantsteine zum Draufhocke­n suchen, die Busfahrer wird’s freuen.

 ?? ?? Die historisch­e Fassade des bekannten Eckhauses mit der Kneipe „Aurel“bleibt erhalten. Die angrenzend­en Gebäude weichen ab 2025 Neubauten.
Die historisch­e Fassade des bekannten Eckhauses mit der Kneipe „Aurel“bleibt erhalten. Die angrenzend­en Gebäude weichen ab 2025 Neubauten.
 ?? ?? So soll die Eckbebauun­g Bahrenfeld­er Straße/ Nöltingstr­aße ab 2027 aussehen.
So soll die Eckbebauun­g Bahrenfeld­er Straße/ Nöltingstr­aße ab 2027 aussehen.
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 ?? ?? „Aurel“-Wirt Stefan Schmitz (l.) und der Vertreter der Bauherren, Thomas Möller
„Aurel“-Wirt Stefan Schmitz (l.) und der Vertreter der Bauherren, Thomas Möller
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Das Haus neben dem „Aurel“beherbergt­e ab 1930 einen Lebensmitt­elladen.

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