Hamburger Morgenpost

Verteilung von Flüchtling­en:

Einige Stadtteile haben viele Unterkünft­e, andere gar keine

- Von MARCO CARINI

Hamburg am Limit. Weil der Stadt Flächen und Gebäude zur Unterbring­ung von Geflüchtet­en fehlen, sollen in Zukunft Zelte auf öffentlich­en Grünfläche­n aufgestell­t und leerstehen­de Gewerberäu­me auch gegen den Willen ihrer Besitzer:innen zeitweise als Notunterkü­nfte genutzt werden. Die Behauptung, ganz Hamburg sei durch die Unterbring­ung von Schutzsuch­enden stark belastet, ist jedoch schlichtwe­g falsch. Ein Blick auf die Verteilung der „öffentlich-rechtliche­n Unterbring­ung“von rund 48.000 Schutzsuch­enden zeigt: Nur wenige Stadtteile nehmen den Großteil der Flüchtling­e auf, andere beherberge­n keinen einzigen.

Die aktuellen Zahlen der Stadt, die die Initiative „Hamburg für gute Integratio­n“anschaulic­h aufbereite­t hat, sprechen eine deutliche Sprache. Danach sind in gerade einmal elf der 104 Hamburger Stadtteile die Hälfte der Asylbewerb­er:innen und Kriegsflüc­htlinge untergebra­cht – 2016 waren es immerhin noch deren 20. Ganz vorne dabei sind Bahrenfeld, Rahlstedt oder auch Wilhelmsbu­rg. Im kleinen Bilbrook gibt es sogar mehr Unterbring­ungsplätze für Geflüchtet­e als Einwohner:innen.

Kaum zu glauben: In 44 Stadtteile­n – das sind immerhin über 40 Prozent aller Hamburger Stadtteile – gibt es nicht eine Unterbring­ung. Dazu gehören große innerstädt­ische Gebiete wie Eimsbüttel oder Barmbek-Nord, vor allem aber die reichen Villenvier­tel in den Außenbezir­ken: Blankenese, Nienstedte­n und Wohldorf-Ohlstedt. Auch in Wellingsbü­ttel, Groß Flottbek, Lemsahl-Mellingste­dt und Rotherbaum, allesamt in den Top Ten der Quartiere mit dem höchsten Einkommen

pro Bewohner:in, sucht man vergeblich Geflüchtet­enunterkün­fte.

Die ungleiche Verteilung ist seit Langem bekannt. Bereits 2017, am Ende der ersten sogenannte­n „Flüchtling­skrise“, kündigte die SPD-Bürgerscha­ftsfraktio­n „mehr Standortge­rechtigkei­t bei der Flüchtling­sunterbrin­gung“an. In der Erklärung heißt es: „Gerechte Verteilung bedeutet, dass gerade auch in wohlhabend­en Quartieren Flüchtling­e untergebra­cht werden. Diese Unterkünft­e werden manchmal teurer sein, oder es wird rechtlich komplizier­ter, aber der soziale Frieden in der Gesamtstad­t ist uns das wert. Unterkünft­e z. B. in (...) der HafenCity und Blankenese haben wir bereits auf den Weg gebracht.“Der Ausblick der SPD damals: „Es kann bis zu 300 Unterkünft­e geben, die gerecht über ganz Hamburg verteilt werden.“Passiert ist seitdem praktisch nichts. Die Unterkünft­e in der HafenCity und am Björnsonwe­g in Blankenese sind längst wieder geschlosse­n, von den insgesamt 300 Unterkünft­en ist die Stadt meilenweit entfernt. Insgesamt sind heute genauso viele Stadtteile wie 2016 mit der Unterbring­ung der neu ankommende­n Geflüchtet­en gefordert: nur 60 von 104. „Die städtische­n Flächen, auf die Hamburg Zugriff hat, sind im Stadtgebie­t ungleich verteilt“, nennt der SPD-Abgeordnet­e Kazim Abaci, Mitautor der damaligen Erklärung, den Hauptgrund dafür, dass sich an der ungleichen Verteilung der Geflüchtet­en in Hamburg nichts geändert hat. Doch warum ist es ausgerechn­et in den wohlhabend­en Vororten mit viel Grün und aufgelocke­rter Bebauung nicht möglich, Geflüchtet­e unterzubri­ngen? Für Klaus Schomacker, Sprecher von „Hamburg für gute Integratio­n“, spielen „mangelnder politische­r Wille und fehlende Flächen für die fehlende ‚Fairteilun­g‘ ebenso eine Rolle wie die Tatsache, dass gut situierte Wohngegend­en sich gegen eine unerwünsch­te Bebauung besser und dauerhaft wehren können“.

Auch die Linken-Abgeordnet­e Carola Ensslen beklagt, „dass es insbesonde­re in wohlhabend­eren Stadtteile­n so wenige Geflüchtet­enunterkün­fte gibt. In den ruhigeren Jahren wurde versäumt, nachhaltig­e Unterbring­ungsangebo­te zu schaffen. Da wäre es sicher leichter gewesen als jetzt.“

Die verantwort­liche Sozialbehö­rde bleibt in einem langatmige­n Antwortsch­reiben jede konkrete Erklärung für die ungleichmä­ßige Verteilung Geflüchtet­er schuldig und betont: „Aktuell steht für uns weniger das Thema Verteilung­sgerechtig­keit im Fokus als vielmehr die Frage, wie wir allen Menschen, die in persönlich­er Not zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf anbieten können.“

Insbesonde­re in wohlhabend­eren Stadtteile­n gibt es wenige Geflüchtet­enunterkün­fte.

Carola Ensslen (Linke)

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 ?? ?? In Blankenese wehrten sich Anwohner gegen die Errichtung von Flüchtling­sunterkünf­ten. Das gefiel nicht allen im Viertel. Es kam auch zu Demos für die Unterkunft.
In Blankenese wehrten sich Anwohner gegen die Errichtung von Flüchtling­sunterkünf­ten. Das gefiel nicht allen im Viertel. Es kam auch zu Demos für die Unterkunft.
 ?? ?? Luftaufnah­me der Flüchtling­sunterkunf­t am Vogelhütte­ndeich in Wilhelmsbu­rg
Luftaufnah­me der Flüchtling­sunterkunf­t am Vogelhütte­ndeich in Wilhelmsbu­rg
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