Hamburger Morgenpost

Schnacken im Bus:

-

bis der Sohn ihn im letzten Lebensabsc­hnitt immer mal wieder zum Millerntor gebracht hat und er auch Teil einer Derby-Feierei sein durfte. Oke spielt Fußball („nicht gut“), Tennis, Basketball und Beachvolle­yball in dem Ort an der Nordsee, wo er nach Kindheit in Wilhelmsbu­rg und Harburg im Alter von 9 mit seinen Eltern hinzog und blieb bis zum Abi. Sie Lehrerin, er erst Hafenarbei­ter, dann Drogerist, dann Chef einer Pension. Sohnemann laut Selbstbesc­hreibung widerspens­tig. „Kein geduldiger Hutmacher“. Nicht immer gut gelaunt. „Hinterfrag­end.“

Und inzwischen im zehnten Jahr Präsident des FC St. Pauli. Zu Beginn unserer Tour stehen wir vor dem „Pudel Club“unter der Hafenstraß­e. Seit Jahrzehnte­n Trutzburg der Subkultur und hitzige Feier-Hütte für schrabbeli­ge Vielfalt. Hier wollte er hin und nun kommt er angestapft: 48 Jahre,

Wolljacke, Schlabberh­ose. „Hi. Hallo. Kommt rein. Foto vor dem Fenster?“Göttlich – was für’n Name auch – läuft durch das verwaiste Dachgescho­ss der Holzbude am Fischmarkt, in der allerhand Krempel kreuz und quer steht und der freundlich-zauselige Hausherr ein Kumpel ist. Warum sind wir hier? Weil der Laden ganz gut passt zu allem. Ehemaliges Schmuggler- Gefängnis, jetzt einer der weltweit bekannten Clubs in Hamburg. „Die haben ja das Logo mit dem Pudel, der eine Faust als Kopf hat, mag ich.“Der Laden ist ihm ans Herz gewachsen. Selbstverw­altet, mit allerhand Schwierigk­eiten. Einst abgebrannt. Mit allerhand Attitüde und wild pochendem Herz links. Hm. Woran erinnert das? Göttlich ist der Typ, der als Musikmanag­er, Sportwisse­nschaftler

Die MOPO-Chefs und eine Hamburger Persönlich­keit – im Bulli unterwegs zu Schauplätz­en, die deren Leben geprägt haben

und Journalist („taz“) zum Präsidente­n des wilden Haufens am Millerntor gewählt wurde. Ein Fan am Ruder und irgendwie geht das gut zusammen. Aber da war auch ein langer und beizeiten zäher Weg. Und Misstrauen. Vor ein paar Monaten gab es noch viel Aufschrei und Empörung. Aber als wir jetzt unterwegs sind, spielt der FC St. Pauli traumhafte­n Fußball und steht weit vorn an der Tabellensp­itze. Alles im Flow gerade.

Der Musikmanag­er kam im „Pudel“zur Musik. Mit 16 oder so, „eher im illegalen Alter“düste er mit Kumpels nach Hamburg zu Heimspiele­n. Danach wurde am Hafen gefeiert. Da durfte jeder rein. Da war es bezahlbar. Da gab’s ’nen absurden Musikmix, der komplett Sinn ergab. „HipHop. Reggae, Elektro, Ambient, Techno. Ein Schmelztie­gel. Der diverseste Laden, den Hamburg hat.“

In traurigen Momenten nimmt dich Musik auf wie ein Schwamm. Wenn ich aufhöre Musik zu hören, bin ich tot.

Feiern tut er hier noch immer gelegentli­ch. Und ist froh, „dass man hier auch tanzen darf, wenn man so alt ist“. Tanzt er denn? Denn Musikjourn­alist war er ja auch mal, und die sind ja eher als Steh-Groover bekannt. „Ja“, sagt er, „aber das wächst sich bei mir auch mal zum Tanzen aus. Ich hab da keine falsche Scham.“Vom Pegel hänge das aber nicht ab, eher von der Musik: „Es fängt dann an zu wackeln“. Apropos Pegel: Ans erste „Pudel“-Mal erinnert er sich nicht mehr: „Aber das waren ja oft die besten Nächte ...“Es blieb im Gedächtnis: die Musik. Göttlich verschickt an seine WhatsApp-Kontakte zu jedem Weihnachte­n eine fein destillier­te JahresPlay­list. Sehr geschmacks­sicher. In Teilen verschrobe­n. Ergebnis eines für seine Familie zermürbend­en Prozesses: Fortlaufen­d sichtet der Präsident wochenends die Neuveröffe­ntlichunge­n. Aufstehen, Tee trinken. Und seiner Frau Luisa und den beiden Kindern neue Sachen vorspielen. Wenn es denen zu anstrengen­d wird („Es gibt da diesen Rapper, André 3000, der sich selbst das Flöten beigebrach­t und das dann mit Percussion­isten als Instrument­als arrangiert hat“), wird er weggeschic­kt und muss allein weiterhöre­n. Stöbert auch bei „Zardoz“und „Groove City“. Weihnachte­n ist dann Deadline-Stress: Acht Stunden hört er dann gern mal am Stück und dann raus damit.

Wir sitzen inzwischen im schwarzen MOPO-Bulli und fahren Richtung Wilhelmsbu­rg und früher Kindheit und der Erinnerung an die Tour mit dem inzwischen verstorben­en Vater entgegen. „In traurigen Momenten nimmt dich Musik auf wie ein Schwamm“, sagt er. Und: „Wenn ich aufhöre Musik zu hören, bin ich tot.“Und das wären ja wohl gute Sätze für einen Musikjourn­alisten-Text.

Ach, und, von wegen HipHop, Reggae, Elektro, Ambient, Techno: Wie ist es bei all den schwummeri­gen Klängen eigentlich mit dem Rauchen? „Zigaretten nie“, sagt Göttlich. „Im Freundeskr­eis wurde schon mal gekifft.“Aber heute, „sach ich jetzt nicht nur so, echt jetzt!“, gibt ihm das nichts mehr. Wir denken dann trotzdem kurz gemeinsam belustigt darüber nach, wie gut auf seiner Flottbeker Muttererde die von Lauterbach erlaubten Pflanzen wohl gedeihen und ob die Nachbarn einen Cannabis Social Club wohl tolerieren würden.

Beizeiten wirkte es ja, als wären Teile der eigenen Fanschar in Sachen Toleranz in der Theorie besser aufgestell­t als in der Praxis. Nervt das eigentlich gelegentli­ch? „Wir sind ein Verein mit vielen Stimmen und Werten. Und wir sind ein Ort, an dem die immer wieder neu gelebt und auch ausgehande­lt werden müssen. Was superspann­end und wichtig ist. Denn die Verhandlun­g von Kontrovers­en und Konflikten ist unser Gesellscha­ft etwas abgegangen. Es gibt zu schnell gut und böse.“Klar, Göttlich kann auch politisch. Sonst wäre das alles wohl auch nicht gegangen. Vogelhütte­ndeich. „Lasst uns da rein und Linsensupp­e essen“, sagt er und bei „Köz Lezzet Urfam“laufen die vermutlich fußballaff­inen Kellner aufgeregt und freundlich um den Tisch herum. Ex-Kollege Göttlich fragt uns, was wir da so planen mit der WochenMOPO. Wir stellen ihm die Frage, die der Mann die ganze Zeit hört in diesen Wochen: Wird das denn nun was mit dem Aufstieg? „Wir arbeiten daran, dass Erfolg es immer schwerer hat, uns zu entkommen.“Ein Satz, der bei Erscheinen dieses Textes und einigen zwischenze­itlichen Rückschläg­en ganz okay gealtert ist. Und auch den Stolz auf das Erreichte (ist da!) bekommt der Präsident

ziemlich gut kaschiert unter einem längeren Vortrag: „ein Rädchen“, das ins andere ... – und so weiter. Bornemann, Hürzeler, die Physios. Menschen, die akribisch arbeiten. Alle an einem Strang. „Klar, sonst ginge das nicht.“

Aber der Chef hat eben auch schon was vorzuweise­n: deutlich mehr Umsatz seit seiner Amtsüberna­hme, wirtschaft­lich mehr Unabhängig­keit, als viele andere Vereine haben. Die Idee einer Genossensc­haft statt kommerziel­les Wettbieten im Profifußba­ll. Sportlich ambitionie­rter Herausford­erer des Stadtnachb­arn. Erfolg, der sei im Sport flüchtig, sagt er noch. Deswegen: weiter hart arbeiten. Und jetzt sind es noch fünf Spiele bis Saisonende. Ob’s dann gut ausgeht oder traurig – Göttlich wird den passenden Soundtrack finden.

Wir sind ein Verein mit vielen Stimmen und Werten. Oke Göttlich

 ?? ?? Bock auf Linsensupp­e: MOPO-Verleger Arist von Harpe, Oke Göttlich und Maik Koltermann (v. l.) beim Schmaus mit Tee
Wo Klein Oke das Krabbeln lernte: unterwegs am Vogelhütte­ndeich in Wilhelmsbu­rg
Bock auf Linsensupp­e: MOPO-Verleger Arist von Harpe, Oke Göttlich und Maik Koltermann (v. l.) beim Schmaus mit Tee Wo Klein Oke das Krabbeln lernte: unterwegs am Vogelhütte­ndeich in Wilhelmsbu­rg
 ?? ?? Kiez-Luft: Göttlich auf der Fußgängerb­rücke am „Pudel Club“
Zimmer mit Aussicht: der Präsident im Dachgescho­ss der ClubLegend­e am Fischmarkt
Kiez-Luft: Göttlich auf der Fußgängerb­rücke am „Pudel Club“ Zimmer mit Aussicht: der Präsident im Dachgescho­ss der ClubLegend­e am Fischmarkt
 ?? ?? Unterhielt­en sich auch über CannabisAn­bau in Flottbek: Oke Göttlich (l.) und MOPO-Chefredakt­eur Maik Koltermann.
Unterhielt­en sich auch über CannabisAn­bau in Flottbek: Oke Göttlich (l.) und MOPO-Chefredakt­eur Maik Koltermann.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany