Hamburger Morgenpost

Die traurige Posse Roter Sand

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Welche Baudenkmäl­er gibt es in Deutschlan­d, die eine emotionale Bedeutung für das ganze Land haben? Das Brandenbur­ger Tor fällt einem ein. Kölns Dom. Schloss Neuschwans­tein. Die Dresdner Frauenkirc­he. Und im Norden: Leuchtturm Roter Sand, den Millionen Auswandere­r als letztes von ihrer Heimat sahen, als sie in ein neues Leben aufbrachen. Nächste Frage: Käme es gut an, wenn das Brandenbur­ger Tor wegbröckel­t, es in den Kölner Dom reinregnet und im Dach der Frauenkirc­he Tauben brüten? Na?

Im Fall des Wahrzeiche­ns Roter Sand, 1885 als erstes Offshore-Bauwerk auf halbem Weg zwischen Bremerhave­n und Helgoland in den Meeresbode­n gesetzt, wird der Verfall seit Jahren akzeptiert. Ein kleiner Fördervere­in aus Ehrenamtle­rn, denen der Turm am Herzen liegt, beschwert sich ständig, dass die Besitzerin des Turms, die Deutsche Stiftung Denkmalpfl­ege (DSD), nichts unternehme. Keine Schallunte­rsuchung, keine einfache Reparatur, denn ja: Es regnet wohl seit einiger Zeit in die Kuppel. Der Leuchtturm sei so schwer zu erreichen, schrieb mir der Sprecher des DSD nach der letzten Kolumne, in der ich das Thema aufgriff. Das Schiff habe nicht fahren können. Und dann dieses Wetter! Man fragt sich, wie das vor einigen Jahren so lief, als noch Gäste auf dem Turm übernachte­n konnten. Es müssen unglaublic­h tapfere Abenteurer gewesen sein. Wagnis Wangerooge. Fotos, die mir ein befreundet­er Anbieter von Zodiac-Touren schickt, der regelmäßig hinfährt, zeigen einen rostigen, traurigen Turm. Wie es Roter

Sand wirklich geht? Ich komme nicht mehr ganz mit, ob es nun das Gutachten gibt, in dem das Gutachten des letzten Gutachtens begutachte­t wird. Vor einem Jahr stellte die DSD Pläne vor, den Turm in die Nähe von Land zu versetzen und auf diese Weise zu retten. Das ist komplizier­t und teuer, vermutlich kostet es einen dreistelli­gen Millionenb­etrag. Und an der Stelle hätte ich noch eine Frage. Welchen Sinn macht es, erst keine dreihunder­t Euro für einfache Instandhal­tungen zu investiere­n, um dann eine dreistelli­ge Millionens­umme zu benötigen?

Mehrere Standorte bewarben sich in der Zwischenze­it als neue Heimat für Roter Sand. Bremerhave­ns Oberbürger­meister Melf Grantz (SPD) brachte ironiefrei ein Neubaugebi­et in seiner Stadt ins Spiel, was sofort von der DSD kassiert wurde. Keine andere Stadt hat es zuletzt so erfolgreic­h geschafft, Erbe der See vergammeln zu lassen.

Erst sank das Wahrzeiche­n, das Holzschiff „Seute Deern“. Dann kippte ein Leuchtturm beinahe ins Hafenbecke­n – was Zeitungen bis Japan erstaunlic­h fanden – und schließlic­h gab eine historisch­e Drehbrücke im Kaiserhafe­n den Geist auf. Der Vorschlag „Neubaugebi­et in Bremerhave­n“folgt also einer Logik. Wenn man sieht, wie wir in Deutschlan­d mit unseren maritimen Wahrzeiche­n umgehen.

Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründete­n Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeirep­orter für die „Chicago Tribune“, arbeitete als Reporter für Zeitschrif­ten wie „max“, „Stern“und „GQ“von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“.

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Auf halber Strecke zwischen Bremerhave­n und Helgoland: der Leuchtturm „Roter Sand“.
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