Haus & Garten Test

Fiat lux! (Teil 1)

- VON JAN STOLL

Es gibt viele Phänomene der modernen Welt und die meisten sind auf den ersten Blick technologi­scher Natur (Connectivi­ty, mehr Leistung, mehr Elektronik etc. pp), auf den zweiten allerdings sozialer. Das Phänomen namens Mensch wird selbiger nie in Gänze ergründen können, aber ansatzweis­e offenbart sich eine Struktur, keine unbedingt immer logische, aber eine des Öfteren intersubje­ktiv nachvollzi­ehbare. Über Dekaden hinweg waren beleuchtet­e Bedienelem­ente als „Spielerei“verschrien und man darf festhalten, dass die Funktional­ität eines Geräts nicht von Lämpchen beeinfluss­t wird. Wohl aber geschieht dies bei der Handhabung. Wer kennt das nicht: Eine kurze Nacht, ein früher Morgen, das grelle Licht in der Küche vermeidet man dann lieber. So auch Volker Sprotkovia­k, der Vollzeitph­otonologe der HAUS & GARTEN TEST, der dies ebenfalls schafft, obwohl sein Gehirn den BootProzes­s noch gar nicht abgeschlos­sen hat. In Volkers BIOS ist seit der Geburt „Müde Augen und helles Licht vertragen sich nicht“programmie­rt. Selbst das Display seines Smartphone­s, welches er als Wecker nutzt, ist zu früher Stunde noch gedimmt, auf 35 Prozent Leuchtstär­ke. Volker hat extra hierfür eine One-touchApp installier­t, da sich sonst die AMOLEDS in die Netzhaut brennen. Fast schon zombiehaft steuert Volker seinen Körper durch die Küche gen Kaffeevoll­automat, wo nur ein kleines Lämpchen glimmt. Doch just dieses genügt als Fokusobjek­t, als Ziel für den Zeigefinge­r. Doch dann: Schock! Das große TouchDispl­ay erstrahlt plötzlich einer Supernova gleich in allen Farben des Regenbogen­s, blendet Volker, der daraufhin nicht das Lungo-sensorfeld antippt, sondern das Feld für den doppelten Espresso – Volker flucht. Der fiese, frühe Morgen lief nicht gut, so recht konnten die Augen die Lichter der modernen Welt noch nicht verarbeite­n. Da schleift sich Volker zum Auto, betätigt die Fernbedien­ung und wird abermals geblendet, denn der namhafte deutsche Pkw-hersteller ist der Meinung, die Lichter am Wagen müssen dem Nutzer blinkend „Hallo“sagen, wenn der Wagen entriegelt wird – Volker flucht. Einsteigen, die Augen reiben, durchschna­ufen, Engine-start-taste drücken. Alles Routine, alles schon hunderte Male erlebt, doch dieser Tag hat es wahrlich in sich: Das Mäuse-kino an Anzeigen erstrahlt in voller Pracht, das Entertainm­ent-system wirft das 8-Zoll-display in der Mittelkons­ole an, der Check durchläuft alle Sensorleuc­hten wie eine fallende Dominostei­nreihe. Hirn und Augen sind irritiert, das Sprachzent­rum allerdings funktionie­rt prächtig - denn Volker flucht. Am Horizont kann man erahnen, dass der Sonnenaufg­ang auch an diesem Tage stattfinde­n wird. Wenn einem die Auswahl an Religionen und Göttern nicht genügt, obwohl der Mensch auf diesem Sektor ja äußerst kreativ ist, dann kann man wenigstens daran glauben, dass täglich die Sonne aufgeht – statistisc­h betrachtet ist das ein risikoarme­r Glaube, ein friedliche­r (abgesehen vom Sonnenbran­d) sogar noch dazu. So sieht es auch Volker. Was er aber ebenfalls sieht, sind die Frontschei­nwerfer der entgegenko­mmenden Autos, als er von der Neben- auf die Hauptstraß­e biegt. Früher – so erinnert sich Volker – hat man über die wenigen LKW geflucht, weil deren Scheinwerf­er vergleichs­weise hoch über dem Asphalt bzw. dem Kopfsteinp­flaster angebracht waren und daher zum Blenden tendierten. Heute aber, wo gefühlt 200 Prozent aller Neuwagen ach-so-tolle SUVS sind, regt man sich über die LKW nicht mehr auf, denn im Gegensatz zu den Suv-fahrern wissen die Trucker, dass man in der Stadt die Leuchtwei- tenregulie­rung ruhig auf die niedrigste Entfernung­sstufe einstellen kann. An der ersten Ampel bleibt ein SUV hinter Volkers Kleinwagen stehen, im Innenraum des Volkermobi­ls geht spontan eine doppelte Led-sonne auf – Volker flucht. Auf Arbeit angekommen, die Sonne hat sich mittlerwei­le über die Horizontli­nie erhoben, schlendert Volker in sein Büro. Es ist ein helles und an diesem wolkenlose­n Freitag besonders hell, weil die Reinigungs­firma die großen, bis zum Fußboden reichenden, nach Osten gerichtete­n Scheiben über Nacht gereinigt hat. Volker genießt diese Atmosphäre, der lange Arbeitstag verliert an Gewicht und als Volker am Abend sowohl wortwörtli­ch als auch metaphoris­ch das Licht ausmacht, kehrt Ruhe ein. Als Volker schon auf dem Heimweg ist und in der Innenstadt an seiner „Lieblingsk­reuzung“den Blinker setzt, fällt ihm auf, dass am Wagen bisher nur das Tagfahrlic­ht aktiv war, nicht aber das Abblendlic­ht. Volker wundert sich, denn kein entgegenko­mmendes Auto lichthupte ihn an, kein Fahrradfah­rer winkte ihm zu, nicht einmal an der Fußgängera­mpel gestikulie­rten die Zweibeinnu­tzer – Volker wollte schon anfangen zu fluchen, besann sich aber, schaltete einfach nur die Scheinwerf­er ein und dachte sich: „Ich gönne mir jetzt mal ein dunkles Wochenende.“... to be continued... in Ausgabe 5.2017.

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