Ad Astra: Brad Pitt im Scifiopus mit Oscar-reifer Leistung
Science-fiction-filme, die weit ins All hinaus reichen, blicken nie wirklich in die Ferne. So wie „2001 – Odyssee im Weltraum“die menschliche Entwicklung betrachtet, „Interstellar“die Liebe zwischen Vater und Tochter erkundet, „Solaris“die Beschränkungen des menschlichen Geistes erforscht, so beschreibt „Ad Astra“die Entwicklung eines Mannes, der schon sein ganzes Leben lang seinem Vater folgt und langsam zu verstehen beginnt, was das für ihn selbst bedeutet.
Brad Pitt spielt den Astronauten Roy Mcbride, der in einer nahen Zukunft auf die Suche nach seinem lange verschollenen Vater geschickt wird. Der Prolog zeigt einen körperlich fitten, psychisch äußerst widerstandsfähigen Mann, der im Erdorbit einen Roboterarm an einer gigantischen Antenne reparieren soll. Eine seltsame Energiewelle sorgt für mehrere Explosionen. Roys Kollegen fallen an ihm vorbei wie Regentropfen, bis auch ihn eine Druckwelle erfasst und er sich um die eigene Achse trudelnd im freien Fall befindet. Der Zuschauer fällt mit ihm in die Tiefe und ist aufgrund der „Gravity“-ähnlichen Kamera-rotationen vermutlich angespannter als Roy selbst, der sich wieder fängt, den Fallschirm öffnet und trotz einiger von oben herabfallender Schrapnelle mit dem Leben davon kommt. Über 43 000 Menschen auf der Erde sterben an diesem Tag aufgrund besagter Energiewelle. Roy empfand weder Angst noch scheint sich in ihm ein Gefühl von Glück einzustellen. Als er kurz darauf zur Nachbesprechung des Vorfalls geladen wird, ahnt er noch nicht, dass bereits die nächste tödliche Mission vor seiner Tür steht. Doch er ist ganz Astronaut, konzentriert sich nur aufs Wesentliche und blendet alles andere aus. Zum Posten „Alles andere“gehört auch seine Frau (Liv Tyler), die Roy nur am Rande wahrnimmt. Ihre Ehe blieb aufgrund seines gefährlichen Berufs kinderlos.
Was sein Vater ihm damit antat, als er wieder in den Weltraum flog, wollte Roy nie selbst seinen Nachkommen zumuten.
Die Büchse der Pandora
Der Ursprung der mysteriösen Energiewellen wird auf das Schiff des Lima-projektes in der Nähe des Neptuns zurück geführt – ebenjenes Projektes, dessen Führung Clifford Mcbride (Tommy Lee Jones) vor über zwei Jahrzehnten übernommen hatte, um außerirdisches Leben an der äußersten Grenze des Sonnensystems entdecken zu können. Obwohl der Kontakt zu ihm 16 Jahre nach Missionsstart abbrach, glauben Roys Auftraggeber trotzdem, dass sein alter Herr noch am Leben ist. Sie behaupten, dass die Wellen vom Antimaterie-triebwerk des Schiffs kommen würden und dass das damit fortschreitend verursachte Ungleichgewicht zur Zerstörung der Welt führen könnte. Daher soll Roy bis zum Mars reisen und Kontakt zu seinem Vater herstellen, damit dessen Schiff präzise geortet werden kann. An der Seite von Colonel Pruitt (Donald Sutherland), einem früheren Kollegen Cliffords, beginnt Roys lange Reise durchs All, über mehrere Stationen, die sogar über den Mars hinaus gehen. Auf dieser Odyssee geschehen viele seltsame, gefährliche und spannende Dinge, die zahlreiche Menschenleben kosten.
Und um diesen hohen Preis sowie um das angestrebte
Ziel geht es den gesamten Film über.
Fanatismus
Regisseur James Grays neuester Film wirkt wie eine thematische Fortsetzung seines vorangegangenen Abenteuerfilms
„Die versunkene Stadt Z“(2016). In diesem auf dem Leben des Forschers Percival Fawcett basierenden Drama, eröffnete er dem Publikum die Perspektive eines Obsessiven, der eher seine Familie im Stich lässt, als den Traum aufzugeben, im brasilianischen Regenwald nach der goldenen Stadt einer untergegangenen Zivilisation zu suchen. Das mysteriöse Verschwinden Fawcetts während einer 1925 geführten Expedition am Amazonas gibt den Historikern noch heute Rätsel auf. Während in „Die versunkene Stadt Z“der Sohn seinen Vater begleitet, absolviert „Ad Astra“eine Gegenbewegung. Der Sohn wandelt auf den Spuren seines Vaters und durchläuft eine Etappe nach der anderen, die sein Erzeuger zuvor absolviert hatte. Doch was wird er am Ende finden? Ist Roy Mcbrides Obsession so groß, weil er seinen Vater liebt? Oder weil er endlich aus dessen mächtigen Schatten steigen möchte? Was sonst könnte sein Antrieb sein? Wird er die gleichen Entscheidungen treffen? Und wird er überhaupt den ganzen Weg bestreiten? Oder raffen ihn die lebensfeindlichen Bedingungen des Alls vorher dahin?
Ein Leben für die Arbeit
Immerhin handelt es sich um einen Zukunfts-streifen, in dem Verfolgungsjagden mit Mondfahrzeugen stattfinden und auch sonst der Weltraum bereits von Menschen teilweise besiedelt wurde. Der Zuschauer kann Roys Abenteuer als reine Weltraum-odyssee sehen, die optisch brillant umgesetzt wurde und haarsträubende Action bietet. Doch dann verpasst er möglicherweise die Kernaussagen, dass die Reise das Ziel ist und der Mensch letztendlich die Macht hat, selber Entscheidungen zu treffen, indem er sich das Leben seiner Vorfahren anschaut und
dieses in Bezug auf sich selbst bewertet. Man kann dies auf jeden erdenklichen Beruf ausweiten, für den sich Arbeiter Tag für Tag aufopfern. Roy ist viel unterwegs, erlebt große Action, trifft zahlreiche neue Gesichter, die allerdings nur flüchtige Bekannte bleiben und erledigt seinen Job ohne große Emotionen. Ähnlich wie in „Fight Club“offenbart sein zynischer Kommentar aus dem Off, welche Mechanismen hinter der „schönen, neuen Welt“stecken und dass der einzige Faktor, der sich im Laufe der Jahre nicht geändert hat, der Mensch ist. Alles sieht so anders und doch so vertraut irdisch aus – die Flughäfen, die Militär-konvois, die Fabriken. Seine Weltsicht ist dystopisch – kein optimistischer Aufbruch in die Weiten des Alls, sondern ein pessimistischer Blick auf die „Weltenfresser“, die ihre kapitalistischen Bemühungen und Ressourcen-kämpfe bis auf den Mond ausgeweitet haben.
Bruch der Erzählkonventionen
Wer sich einen Zukunfts-film mit authentischen Effekten erhofft, bekommt diese en masse geboten. Sowohl die Weltraum-szenen als auch die Momente innerhalb der Schiffe, Basislager und Raumstationen sind durchsetzt von erstklassigem CGI, das einzig dafür da ist, die Illusion perfekt zu machen und den Zuschauer in diese Welt komplett hinein zu ziehen, ohne die zweite realistische Ebene darunter zu vergessen, auf der ein Alltagsmensch von einem Geschäfts-termin zum nächsten reist. Bahnbrechende Action, die meist im All ohne Ton, aber nicht minder leise abläuft, wird dicht gefolgt von hypnotisch schönen Sequenzen à la „2001“. Jedes Bild hat noch eine zusätzliche Bedeutung, sei es Roys sprichwörtliche Abschottung vom Rest der Welt, die ständigen Bemühungen per Pedes, per Auto oder sogar schwimmend den Anschluss zu erreichen, oder die Einsamkeit des Alls. Kaum eine andere Bewegung vollführt er häufiger und sorgfältiger, als das Schließen einer Tür bzw. Schleuse. „Ad Astra“ist eben kein Film, der den Mustern der üblichen Mainstream-unterhaltung folgt, sondern ein mit über 87 Mio. Us-dollar sehr hoch budgetierter Arthouse-streifen, wie er zumindest inhaltlich ins New Hollywood der 1970er Jahre gepasst hätte. Wer sich also eine klassische Dramaturgie erhofft, wird spätestens am Ende enttäuscht sein. Doch diese Enttäuschung ist Kalkül, denn Drehbuchschreiber Ethan Gross und Regisseur James Gray haben sogar die komplette bombastische Inszenierung darauf aufgebaut, dass der Zuschauer am Ende einfach enttäuscht sein MUSS. Da es Gray von Anfang an darum ging, seine eigenen Erfahrungen mit einzubringen und einen möglichst persönlichen Film zu erschaffen, nutzt er diese Enttäuschung aus, um auch den Betrachter an der Entwicklung des Protagonisten teil haben zu lassen. Lernt das Publikum das Loslassen von bekannten Erzählkonventionen und passt es seine Erwartungshaltung an, so gelingt es ihm auch, mit dem sowohl nihilistischen als auch erkenntnisreichen Ende klar zu kommen. Technisch geht die Blu-ray übrigens keinerlei Experimente ein. Das Bild bewegt sich auf Referenz-niveau und erfreut mit hoher Schärfe und brillantem Kontrast. Und auch wenn im All komplette Stille herrscht, beklemmen die dreidimensionalen Geräusche innerhalb des Raumanzugs und begeistert die perfekte Signalortung mit einer Geräuschkulisse, die Ihr Heimkino in ein Spaceshuttle verwandelt. Die deutsche Tonspur ist in DTS 5.1 abgemischt, während das englische Original mit DTS-HD MA 7.1 auftrumpft. Beide Abmischungen sind sehr gut, weshalb sich der englische Adiomix nur mit einer Surround-soundanlage mit mehr als sechs Kanälen lohnt. Über 47 Minuten Extras präsentieren zwei gelöschte Szenen (ca. 3 Min.), fünf Beiträge zu Filmhintergründen (ca. 44 Min.) sowie einen aufschlussreichen Audiokommentar von James Gray. Die am gleichen Tag erscheinende Uhdblu-ray im Steelbook konnten wir an dieser Stelle leider noch nicht testen, voraussichtlich wird sie mit englischem Dolby-atmos-ton erscheinen.