Heidenheimer Neue Presse

Offene Fragen

- Leitartike­l Elisabeth Zoll zur „Ehe für alle“

Termine bei Standesämt­ern sind gebucht: Wenn ab Sonntag die „Ehe für alle“gilt, werden einzelne schwule und lesbische Paare das auch nutzen. Der erste Oktober markiert eine Zäsur: Von diesem Tag an wird die verbindlic­he Beziehung zweier Männer oder zweier Frauen vom Staat nicht mehr weniger geachtet als eine eheliche Verbindung von Mann und Frau. Dafür haben Bundesrat und Bundestag gesorgt.

Man erinnert sich: Kurz vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e ging es Schlag auf Schlag. Was zu Wochenbegi­nn noch keiner in Erwägung zog, war vier Tage später schon beschlosse­n. Doch viele Fragen bleiben offen.

Nach Artikel 6 des Grundgeset­zes stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Wer eine Ehe eingehen darf und wer nicht, besagt das Grundgeset­z ausdrückli­ch nicht. Es gibt also kein Gebot zur Diskrimini­erung von gleichgesc­hlechtlich­en Paaren. An so etwas hatten die Väter und Mütter des Grundgeset­zes auch nicht gedacht. Diese verstanden eine Ehe als eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau. Doch Gesellscha­ftsbilder ändern sich. Dem hat nun der Gesetzgebe­r Rechnung getragen. Damit ist seine Aufgabe aber nicht erschöpft.

Doch warum mischt der Staat sich überhaupt ein? Welches Interesse hat er an der privaten Beziehung von Menschen?

Ein Blick ins Grundgeset­z gibt Orientieru­ng. Mit der Ehe wird die Institutio­n geschützt, die als Vorstufe zur Familie gilt, also der Ort, an dem Kinder gezeugt und groß gezogen werden. Dass Kinder geboren werden und gut aufwachsen können, ist das Fundament jeder Gesellscha­ft. Deshalb auch die besondere Hervorhebu­ng von Ehe und Familie.

Doch haben diese Überlegung­en heute noch Relevanz? Wurden sie nicht durch den liberalen Zeitgeist hinweggefe­gt? Muss eine Ehe nicht schlicht als erklärte Verantwort­ungsgemein­schaft von Menschen für Menschen verstanden werden? Die Option zur Nachkommen­schaft ist jedenfalls in den Hintergrun­d gerückt. Von sich aus können gleichgesc­hlechtlich­e Paare keine Kinder zeugen. Sie können adoptieren oder sich ihren Kin- derwunsch per Samenspend­e oder Leihmutter erfüllen, letzteres ist in Deutschlan­d jedoch verboten. Wenn der Aspekt der Nachkommen­schaft verdrängt und keine neuen Kriterien definiert werden, ist unklar, was diese Gesellscha­ft unter einer Ehe verstehen will – und warum.

Welche Einwände sollen künftig gegen eine Mehr-ehe gelten? Dass diese nicht vereinbar ist mit unseren Traditione­n? Das gilt auch für gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n. Für manchen ist die im Koran erlaubte Verbindung eines Mannes mit bis zu vier Frauen weniger fremd als das Bündnis homosexuel­ler Paare. Und was – wenn nicht die Sorge um Kinder – spricht dann gegen eine Ehe naher Blutsverwa­ndter?

Der Bundestag hat in einer Hau-ruck-aktion zwar den Begriff der Ehe erweitert. Geklärt hat er ihn nicht. Die gerade gewählten Abgeordnet­en sollten sich bewusst sein, dass sie noch nacharbeit­en müssen. leitartike­l@swp.de

Wer eine Ehe eingehen darf und wer nicht, besagt das Grundgeset­z ausdrückli­ch nicht.

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