Offene Fragen
Termine bei Standesämtern sind gebucht: Wenn ab Sonntag die „Ehe für alle“gilt, werden einzelne schwule und lesbische Paare das auch nutzen. Der erste Oktober markiert eine Zäsur: Von diesem Tag an wird die verbindliche Beziehung zweier Männer oder zweier Frauen vom Staat nicht mehr weniger geachtet als eine eheliche Verbindung von Mann und Frau. Dafür haben Bundesrat und Bundestag gesorgt.
Man erinnert sich: Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause ging es Schlag auf Schlag. Was zu Wochenbeginn noch keiner in Erwägung zog, war vier Tage später schon beschlossen. Doch viele Fragen bleiben offen.
Nach Artikel 6 des Grundgesetzes stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Wer eine Ehe eingehen darf und wer nicht, besagt das Grundgesetz ausdrücklich nicht. Es gibt also kein Gebot zur Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren. An so etwas hatten die Väter und Mütter des Grundgesetzes auch nicht gedacht. Diese verstanden eine Ehe als eine auf Dauer angelegte Verbindung von Mann und Frau. Doch Gesellschaftsbilder ändern sich. Dem hat nun der Gesetzgeber Rechnung getragen. Damit ist seine Aufgabe aber nicht erschöpft.
Doch warum mischt der Staat sich überhaupt ein? Welches Interesse hat er an der privaten Beziehung von Menschen?
Ein Blick ins Grundgesetz gibt Orientierung. Mit der Ehe wird die Institution geschützt, die als Vorstufe zur Familie gilt, also der Ort, an dem Kinder gezeugt und groß gezogen werden. Dass Kinder geboren werden und gut aufwachsen können, ist das Fundament jeder Gesellschaft. Deshalb auch die besondere Hervorhebung von Ehe und Familie.
Doch haben diese Überlegungen heute noch Relevanz? Wurden sie nicht durch den liberalen Zeitgeist hinweggefegt? Muss eine Ehe nicht schlicht als erklärte Verantwortungsgemeinschaft von Menschen für Menschen verstanden werden? Die Option zur Nachkommenschaft ist jedenfalls in den Hintergrund gerückt. Von sich aus können gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder zeugen. Sie können adoptieren oder sich ihren Kin- derwunsch per Samenspende oder Leihmutter erfüllen, letzteres ist in Deutschland jedoch verboten. Wenn der Aspekt der Nachkommenschaft verdrängt und keine neuen Kriterien definiert werden, ist unklar, was diese Gesellschaft unter einer Ehe verstehen will – und warum.
Welche Einwände sollen künftig gegen eine Mehr-ehe gelten? Dass diese nicht vereinbar ist mit unseren Traditionen? Das gilt auch für gleichgeschlechtliche Beziehungen. Für manchen ist die im Koran erlaubte Verbindung eines Mannes mit bis zu vier Frauen weniger fremd als das Bündnis homosexueller Paare. Und was – wenn nicht die Sorge um Kinder – spricht dann gegen eine Ehe naher Blutsverwandter?
Der Bundestag hat in einer Hau-ruck-aktion zwar den Begriff der Ehe erweitert. Geklärt hat er ihn nicht. Die gerade gewählten Abgeordneten sollten sich bewusst sein, dass sie noch nacharbeiten müssen. leitartikel@swp.de
Wer eine Ehe eingehen darf und wer nicht, besagt das Grundgesetz ausdrücklich nicht.