Heidenheimer Neue Presse

Auf der Suche nach Normalität

AFD Nach einem Bundestags­wahlkampf voller Parolen, Pöbeleien und Provokatio­nen schlagen die Rechtspopu­listen nun eine andere Strategie ein. Zwei Parlamenta­rier, die dafür als Aushängesc­hilder dienen könnten, sind Tino Chrupalla und Peter Felser. Von Thoma

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Wenn man Tino Chrupalla fragt, wie er das eigentlich gemacht hat, wie er als selbststän­diger Malermeist­er aus dem Stand mit einer höchstumst­rittenen Partei das Direktmand­at im Wahlkreis Görlitz geholt hat, noch dazu gegen Michael Kretschmer (CDU), den künftigen Ministerpr­äsidenten Sachsens, dann sagt der: „Mit einem guten Wahlkampf.“Das war’s. Von Dorf zu Dorf, von Kneipe zu Kneipe sei er gefahren, und habe dort für die Alternativ­e für Deutschlan­d (AFD) geworben, zehn Monate lang. „Die Leute stehen da, man muss sie nur abholen“, sagt Chrupalla. Alles ganz normal. Die „Großpartei­en“hätten halt verlernt, wie das geht, abholen. „Die Arroganz der Macht“, sagt Chrupalla, und es schwingt ein bisschen Schadenfre­ude mit.

Chrupalla ist eines der neuen Aushängesc­hilder der 92 Rechtspopu­listen, die seit anderthalb Monaten im Deutschen Bundestag sitzen. Sein Auftreten wird mit darüber entscheide­n, ob die AFD dort auch bleibt, ob sich erstmals dauerhaft eine Partei rechts der CDU positionie­ren kann. Denn obwohl die AFD ihren Wahl-

Deutschlan­d hat sich in die falsche Richtung entwickelt. Peter Felser, Afd-abgeordnet­er aus dem Allgäu

Die Leute stehen da, man muss sie dort nur abholen. Tino Chrupalla Afd-abgeordnet­er aus Görlitz

kampf recht erfolgreic­h mit Pöbeleien und anti-islamische­n Provokatio­nen bestritten hat, scheint sie für dieses Ziel eine neue Strategie zu fahren: Normalisie­rung.

In der Partei brüstet man sich zumindest offen damit, ausschließ­lich gemäßigte Kandidaten wie Tino Chrupalla in den Fraktionsv­orstand gewählt zu haben, an deren Spitze mit Alexander Gauland und Alice Weidel zwei Personen sitzen, die man aller Äußerungen zum Trotz auch für gemäßigt hält. Nach den von Spaltungen und Skandalen gespickten Erfahrunge­n in den Landtagen möchte man im Bundestag nun profession­eller auftreten.

Alles reine Kosmetik, sagt Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratie­forschung. „Momentan stehen keine Wahlen an, deshalb braucht die Partei gerade keine Provokatio­nen“, sagt er. „Doch dieses Spiel mit dem ständigen Brechen der Norm wird wieder losgehen.“Die AFD könne sich so normal geben, wie sie will. Im Kern bleibe sie eine völkisch-nationalis­tische Partei, die ein Problem mit der freiheitli­chen Grundordnu­ng habe und gerade sehr erfolgreic­h dabei ist, den öffentlich­en Diskurs zu verändern. Dass diese nun versucht, als normale Partei aufzutrete­n, sei absurd. „Wir beobachten keine Normalisie­rung, sondern eher eine weitere Radikalisi­erung.“Tino Chrupalla hat das trotzdem nicht davon abgehalten, sich in atemberaub­ender Geschwindi­gkeit als Politiker der Mitte zu inszeniere­n. „Aus allen Bevölkerun­gsschichte­n“habe er viel Zuspruch bekommen. Innerhalb eines Wahlkampfe­s ist es ihm irgendwie gelungen, sich selbst aus der Schmuddele­cke in die Mitte zu rücken.

Genau da vermutet die AFD schließlic­h auch ein großes Wählerpote­nzial. Studien zeigen, dass zwar eher Männer als Frauen, eher Arbeiter als Akademiker und eher Mittdreißi­ger als Mittzwanzi­ger die AFD gewählt haben. Doch sie kommen auch zu dem Schluss, dass die AFD in fast allen Zielgruppe­n genug Stimmen erhalten hat, um über die Fünf-prozent-hürde zu kommen. Und die Mitte erreicht man nicht mit schrillen Tönen.

Ein weiterer dieser Abgeordnet­en mit Normalität­s-ambitionen im Fraktionsv­orstand ist der Allgäuer Peter Felser. 48 Jahre alt, Inhaber eines mittelstän­dischen Medienunte­rnehmens, Vater von fünf Kindern, freundlich­es Gesicht, ruhiges Auftreten. „Deutschlan­d hat sich in die falsche Richtung entwickelt“, sagt er. Da habe es Paradigmen­wechsel gegeben, die einfach so durchgedrü­ckt worden seien, ohne dass jemand gefragt wurde. In der Verteidigu­ngspolitik, in der Flüchtling­spolitik, in der Gesellscha­ftspolitik. Es klingt gar nicht so anders als die Ausführung­en eines Csu-politikers. Mit dem Unterschie­d, dass Felser halt nicht in der CSU, sondern in einer Partei ist, in der auch Menschen mit rechtsextr­emen Gedankengu­t eine Heimat finden.

Der bekanntest­e ist der Thüringer Fraktionsc­hef Björn Höcke, der schon von einer „tausendjäh­rigen Zukunft“Deutschlan­ds und über den „afrikanisc­hen Ausbreitun­gstyp“sprach. Wie kann so einer wie Felser trotz so jemand in einer Partei sein? „Ich sehe nicht ein, dass wir uns alle wegen Höcke zurückzieh­en müssen“, sagt Felser. Solange dieser in Thüringen bleibe, könne man in der Bundestags­fraktion doch konstrukti­v arbeiten.

„Damit macht man es sich zu einfach“, sagt Michael Lühmann, der Politikwis­senschaftl­er. „Wenn man ernsthaft an einer Normalisie­rung der Partei interessie­rt wäre, müsste man Radikale ausgrenzen und sich nicht nur von ihnen abgrenzen.“Stattdesse­n lasse sich beobachten, wie ein Parteiauss­chlussverf­ahren gegen Björn Höcke still und leise beerdigt wird und dessen Mitstreite­r Jens Maier, „jemand, der ganz offen rechtsextr­em ist“und jemand, der vor der „Herstellun­g von Mischvölke­rn“warnt, parteiinte­rn Karriere macht.

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Die Neuen im Bundestag: Schon um die Platzierun­g der AFD im Parlament wurde unter den Etablierte­n lange gerungen. Foto: dpa
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