Die perfekte Party-animation
Pop Eine virtuelle Band auf Live-tour? Das geht. Bei den Gorillaz spielen vor Comic-videos echte Musiker. Dazu Damon Albarn, ein Chor und Gastsänger. Von Claudia Reicherter
Besucher von Konzerten mäßig bis sehr bekannter Bands sehen meist auf einer meterweit entfernten Bühne in Stecknadelgröße ein paar extrovertiert veranlagte Gestalten, die mehr oder minder ihre Instrumente spielen können, hin- und herrennen und je nach Musikgenre mehr oder weniger ausgeprägt posen.
Besucher eines Raves oder Djsets stehen selten frontal zur Bühne, da es dort abgesehen von einer Person, die kein Instrument spielt, sondern Knöpfe an einer Konsole dreht und Regler verschiebt, nichts zu sehen gibt. Tanzend vergessen sie die Welt um sich herum, reißen bei Rhythmuswechseln oder der Erhöhung der pumpenden Beats per minute jubelnd die Arme hoch und sehen die beatsynchron pulsierenden Projektionen auf Großleinwand von überall bestens.
Alles in Einem
Besucher eines Gorillaz-konzerts erleben all das in Einem: echte Musiker, die ihre Instrumente bestens beherrschen; einen Star aus Fleisch und Blut, der am Bühnenrand unermüdlich hin- und herspringt; einen sechsköpfigen Backgroundchor; diverse Gastsänger – und dazu aufwändige, auf die pumpend-phatten Beats abgestimmte Vollwand-visuals mit rasanten Cartoon-videos. Ein perfekter Mix aus Gig und Party.
Die Gorillaz nämlich sind eine virtuelle Band. Urheber der lautstark erschallenden Musik sollen eigentlich die Comiccharaktere in den Videos sein. Das Musikgenre ist deshalb zu keinem Zeitpunkt festgelegt, denn die imaginären Musiker sind spieltechnisch nicht eingeschränkt. Dafür zahlen die Besucher mit rund 100 Euro allerdings auch doppelt so viel wie für Konzerte mäßig bis einigermaßen bekannter Bands.
Entsprungen ist dieses Gesamt-musikkunstwerk 1998 den Köpfen von Damon Albarn, bis dahin vor allem als Kopf der BritPop-band Blur bekannt, und Jamie Hewlett, der als Comic-zeichner unter anderem das „Tank Girl“schuf. Beide Jahrgang 1968, beide frisch getrennt, teilten sie sich eine WG im Londoner Stadtteil Notting Hill, experimentierten mit Drogen und taten das, was sie am besten beziehungsweise nicht lassen konnten: komponieren und zeichnen.
Irgendwann kamen sie auf die Idee, ihre Talente zu verschmelzen. Und kreierten den blauhaarigen Sänger und Keyboarder 2-D, Bassist Murdoc Niccals, Gitarristin Noodle und Drummer Russel Hobbs. Albarn kam das Spaß-projekt recht, da er Lust auf Hiphop hatte, was aber mit Blur nicht zu machen war. Dan the Automator von Deltron 3030 kam als Produzent an Bord und so lag 2000 die EP „Tomorrow Comes Today“und 2001 das Debütalbum „Gorillaz“vor. Die Platte verkaufte sich unerwartet gut, sieben Millionen Mal. Die erste Tour und weitere Alben folgten: „Demon Days“(2005), „Plastic Beach“und „The Fall“(beide 2010). Seit 2006 gibt es mit „Rise of the Ogre“sogar eine 300-seitige Bandbiografie, die neu rund 500 Euro kostet.
2011 zerstritten sich Albarn und Hewlett. Der Illustrator fühlte sich zunehmend in den Hintergrund gedrängt. „Damon hatte die halbe The Clash auf der Bühne (. . .) Es war die größte Band, die es je gab. Und die Leinwand hinter der Bühne schien mit jedem Tag noch kleiner zu werden.“
Ungewisse Zukunft
Albarn nahm ein Solo- und ein neues Blur-album auf, Hewlett malte und stellte in der Saatchi Gallery aus. Die Zukunft der Gorillaz? Ungewiss.
Umso größer war die Freude der Fans, als 2016 neue Video-clips auftauchten. Im Januar 2017 erschien die erste Single aus „Humanz“. Das Album entpuppte sich dann als eine der besten Platten des Jahres. Ein perfekter Party-soundtrack – mit gesellschaftskritischen Texten.
Auf Tour hatte die virtuelle Band am Samstag im Münchner Zenith zwei Drummer, zwei Keyboarder, Gitarrist Jeff Wootton, Bassist Seye Adelekan, Rapperin Little Simz, Soulsänger Peven Everett und mal wieder De La Soul dabei. Sowie den sehr realen Zeremonienmeister, der sich freudig an Piano, Korg und Melodica verausgabt: Damon Albarn, der in „Saturnz Barz“singt, er habe „a hologram inside me“.
Im Juni 2018 gehören die Gorillaz zu den Headlinern der größten deutschen Rock-festivals Rock am Ring/rock im Park.