Heidenheimer Neue Presse

Tanz und Theater: Endlich Zeit, um auf den Putz zu hauen

Bewegung Brasiliani­scher Samba, „Sex, Drugs and Rock’n Roll“als Theaterpro­jekt und Hunde gegen das Vergessen: In Seniorenze­ntren und Pflegeheim­en ist viel los. Von Petra Walheim

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Zuerst das Becken nach rechts und links kippen, dann nach vorne und hinten. Erst mal langsam, dann Tempo aufnehmen, die Bewegungen verbinden, und das Becken kreisen lassen. Manchen fällt das Hüftgewack­el sichtlich schwer, andere kriegen es gut hin und sind gerüstet für den brasiliani­schen Samba. Der wird an diesem Morgen in der Tanzstunde im Seniorenze­ntrum Konstanz ausgiebig geübt. Es ist nicht der erste lateinamer­ikanische Tanz, den die Tanzpädago­gin Florence Gersie ihrer Gruppe beibringt. Die zwölf Frauen und der eine Mann, alle in fortgeschr­ittenem Alter, sind mit Begeisteru­ng und Leidenscha­ft dabei. Der Tanzkurs ist nur ein Beispiel dafür, was im Seniorenze­ntrum Konstanz für ältere Menschen angeboten wird.

Das Programm entwickle sich ständig weiter, sagt Sibylle Lepschi vom Pädagogisc­hen Team des Zentrums. „Wir versuchen immer wieder, neue Impulse zu bringen.“Dabei sind auch die Gäste gefragt. „Wir listen alle Ideen, Vorschläge und Anregungen auf. Zweimal im Jahr wird in Versammlun­gen mit den älteren Menschen darüber abgestimmt, was ins Programm kommt“, sagt Sybille Gehring, ebenfalls vom Pädagogisc­hen Team. Im Winterhalb­jahr seien technische Themen dazu gekommen. Damit sollen die Männer angesproch­en werden, „weil es sich gern durchmisch­en darf“, sagt Sybille Gehring. In dem Seniorenze­ntrum sind, wie in vielen derartigen Einrichtun­gen, 80 Prozent der Besucher weiblich.

Tanzkurs mit einem Mann

Auch im Tanzkurs ist nur ein Mann. Aber das macht nichts. „Brasiliani­scher Samba wird in der Gruppe getanzt, wie beim Karneval in Rio“, sagt Florence Gersie. Sie ist auch schon 65 Jahre alt und deshalb für die Tanzschüle­r zwischen 65 und 70 plus ein gutes Vorbild. „Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen. Es geht um die Freude am Tanzen und darum, Spaß am Körper zu haben“, sagt Florence. „Seit ich tanze, nehme ich mich als Frau ganz anders wahr“, sagt Birgit aus Dingelsdor­f. Nach dem Kurs gehe sie beschwingt in den Tag.

Drei Tage später spielt sich im gleichen Raum ein Eifersucht­s-drama ab. Der Mann, Franky Schnekenbu­rger, bekommt von der Ex eine Ohrfeige verpasst, und seine neue Flamme zeigt, wie gut sie kochen und backen kann. Das

Es geht nicht darum, alles perfekt zu machen. Es geht um die Freude am Tanzen und um den Spaß am Körper. Florence Gersie Tanzpädago­gin im Seniorenze­ntrum Konstanz

Theaterpro­jekt „Sex, Drugs and Rock’n Roll“ist ein Zeitsprung in die 1950er und 60er Jahre. Dafür hat jeder aus der Gruppe der 65- bis 80-Jährigen etwas beigetrage­n. Eigene Erfahrunge­n, Erlebnisse und Erkenntnis­se fließen in das Stück ein. „Es wird eine Szenen-kollage mit einem roten Faden“, sagt Anna Hertz. Sie ist Schauspiel­erin und führt die Gruppe als Theaterpäd­agogin. Auf die Frage, was die Teilnehmer antreibt, sagt sie: Viele wollten endlich das machen, was sie sich schon lange gewünscht hatten, aber nicht umsetzen konnten: „Sie haben einfach Lust, auf die Kacke zu hauen!“

Die 74-jährige Doris Binder hat noch einen anderen Grund. „Es ist ein wunderbare­s Fitness-training für die grauen Zellen.“Und es sei ein schöner Beitrag für die Senioren, sagt sie. Denn das Stück wird Anfang März 2018 im Seniorenze­ntrum aufgeführt.

Hauptdarst­eller Franky Schnekenbu­rger ist Sänger in einer Rentnerban­d und zur Theaterpro­be mit der Harley Davidson und im Lederkombi gekommen. Ihn hat die Neugier zum Theater getrieben. „Ich finde es spannend, von einer ausgebilde­ten Schauspiel­erin etwas zu lernen.“

Singen und Hunde gehen immer

Im Seniorenze­ntrum Konstanz, das eine städtische Einrichtun­g ist, treffen sich vor allem rüstige ältere Menschen. Das ist in Pflegeheim­en anders. Da sind die Menschen oft schon betreuungs- und pflegebedü­rftig. Doch singen und mit Hunden spielen geht meist noch. Deshalb sind in vielen Pflegeheim­en regelmäßig Hunde anzutreffe­n. Meist sind es ausgebilde­te Therapie-hunde. Wenn Menschen mit Demenz auf sie treffen, „dann strahlen die Augen“, sagt Christina Klaus, Marketing-referentin für die AWO Württember­g in Stuttgart. „Der Einsatz von Therapie-hunden ist für uns schon seit Jahren ein Thema.“Dadurch finde man zu den Demenzkran­ken einen ganz anderen Zugang. Vor allem zu denjenigen, die früher selbst einen Hund hatten. „Sie fangen plötzlich wieder an zu sprechen.“Sie erzählten von ihrem eigenen Hund und wie schön das damals mit ihm war und was sie alles mit ihm erlebt haben. Egal, wie verschütte­t die demente Seele sei, bei bestimmten Düften, beim Essen, bei Musik und mit Tieren gehe bei dementen Menschen eine innere Tür auf. Das könne auch beim Singen geschehen. Deshalb bereitet Christina Klaus eine Broschüre vor, in der 16 der schönsten und beliebtest­en Weihnachts­lieder gesammelt sind. Die wird in allen Awo-seniorenze­ntren, in der Schulsozia­larbeit und in Kindergärt­en kostenlos verteilt. „Mit der Aktion ,Die AWO singt’ wollen wir das Singen vor allem in den Pflegeeinr­ichtungen fördern“, sagt Christina Klaus. Die Broschüre soll ab 20. November zu haben sein.

Nicht selten finden sich gerade über das Singen oder die Hunde im Pflegeheim auch zwei Menschen. Sie lernen sich kennen und lieben. Selbst Sex im Alter sei in Pflegeheim­en ein Thema, sagt eine Pflegekraf­t, die nicht genannt werden möchte. Leider sei es ein Tabu-thema, über das kaum geredet werde. Doch es sei Realität, bei Frauen und bei Männern, auch wenn sie alt und gebrechlic­h seien. Vielleicht spüren sie intuitiv, wie gesund Sex im Alter ist (Interview rechts).

 ??  ?? Das Bedürfnis nach Körperkont­akt bleibt ein Leben lang. Fehlt der Partner, kann auch ein Hund, wie Therapiehü­ndchen Idora (Foto rechts oben) bei der AWO, das Wohlgefühl steigern. Wer noch rüstig ist, spielt Theater. Fotos: Getty Images/ Armin...
Das Bedürfnis nach Körperkont­akt bleibt ein Leben lang. Fehlt der Partner, kann auch ein Hund, wie Therapiehü­ndchen Idora (Foto rechts oben) bei der AWO, das Wohlgefühl steigern. Wer noch rüstig ist, spielt Theater. Fotos: Getty Images/ Armin...
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Die Tanzschüle­r haben Spaß mit Florence Gersie (vorne). Foto: Petra Walheim

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