Heidenheimer Neue Presse

Düstere Szenarien

- Leitartike­l Christoph Faisst zu Herausford­erungen für die Polizei leitartike­l@swp.de

Ein wacheres Auge wäre angebracht gewesen.“Angesichts der Pannen im Fall des Berliner Weihnachts­markt-attentäter­s Anis Amri ist diese Feststellu­ng des ehemaligen Bundesanwa­ltes Bruno Jost noch eher zurückhalt­end. Doch wie sieht das Auge des Staates schärfer? Und wie lässt sich das mit den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaa­tes vereinbare­n? Worauf sich die Polizei einstellen muss und was sie dazu benötigt, das ist Thema der Jahrestagu­ng des Bundeskrim­inalamtes (BKA), die heute beginnt. Denn die Kluft zwischen steigendem Anspruch an die Arbeit der Polizei, deren sparbeding­t geschwächt­en Ressourcen und der Bedrohungs­lage wächst ebenso wie die Schärfe der Kritik, wenn etwas schiefläuf­t.

Es gibt also gute Gründe, sich zu wappnen. Und es gibt Trends. Etwa: Benötigt Deutschlan­d eine militarisi­erte Polizei, die ernste Unruhen in Großstädte­n niederschl­agen kann? Oder etwas diffiziler: Sind die Strafverfo­lger ausreichen­d für die Überwachun­g des Internets und die Aufklärung von Cyberangri­ffen gerüstet? Wie steht es um das Smart Policing, die computerge­stützte Prognose, wo Straftaten drohen könnten?

Als Denkansatz lässt sich all das schwerlich kritisiere­n. Es bedarf der Diskussion selbst düsterer Szenarien, die im besten Fall nie Wirklichke­it werden. Alles andere wäre leichtfert­ig. Der Staat, der seit der Neuzeit das Gewaltmono­pol besitzt, ist im Gegenzug für die Sicherheit der Bürger verantwort­lich. Gelingt ihm das nicht, verliert er seine Legitimitä­t. Diese Sicht ist Stand der Dinge seit Zeiten des englischen Staatstheo­retikers Thomas Hobbes (1588-1679). Wenn Innenminis­ter Thomas de Maizière und BKA-CHEF Holger Münch das Maximalpro­gramm des technisch und ju- ristisch Machbaren fordern, erledigen sie deshalb schlicht ihren Job. Ob sie bekommen, was opportun erscheint, steht auf einem anderen Blatt.

Zu Recht. Denn in der vielbeschw­orenen Balance zwischen Freiheit und Sicherheit neigt sich die Waagschale längst zu Lasten der Bürgerrech­te. Videoüberw­achung, Vorratsdat­enspeicher­ung, Staatstroj­aner, Propaganda gegen Anonymität und verschlüss­elte Kommunikat­ion, die Aufweichun­g der Trennung von Armee, Polizei und Geheimdien­sten – die Begehrlich­keiten und die Zahl der Gesetze sind zuletzt rasant gewachsen, so dass selbst als Hardliner geltende Politiker bisweilen moderat auftreten – der Werkzeugka­sten ist schon gut gefüllt.

Und doch darf es immer noch ein wenig mehr sein. Die Begründung liefert die Denkfigur der Schutzlück­e, jenes Einfallsto­r für Übeltäter, das nie klein genug sein kann und allen Eingriffsb­efugnissen zum Trotz doch nie geschlosse­n werden wird. Es regiert nicht Augenmaß, sondern die Angst, nicht genug getan zu haben.

Härtere Gesetze zu verspreche­n, kostet nichts, gewonnen ist damit wenig. Für den Vollzug sorgt vor allem Personal, das Geld kostet. Und kein Algorithmu­s kann erfahrene Ermittler und deren Intuition ersetzen. Eines ist daher mit Sicherheit der falsche Weg: das wache Auge mit dem Marsch in den Prävention­s- und Überwachun­gsstaat zu verwechsel­n.

Es regiert nicht Augenmaß, sondern die Angst, nicht genug getan zu haben.

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