Heidenheimer Neue Presse

Wider das Insektenst­erben

Naturschut­z Die Landesregi­erung will ein Sonderprog­ramm zum Erhalt der biologisch­en Vielfalt auflegen. Aber noch streiten Grüne und CDU über Details der Umsetzung. Von Roland Muschel

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Die Zahlen sind dramatisch: Seit 1989, haben Wissenscha­ftler um Caspar Hallmann von der niederländ­ischen Radboud University in Nijmegen in einer viel beachteten Studie herausgefu­nden, ist die Masse der Insekten in Deutschlan­d um 76 Prozent zurückgega­ngen. Die Verluste betreffen offenbar die meisten Arten, von Schmetterl­ingen, Bienen und Wespen bis zu Motten und anderen flugfähige­n Arten, die praktisch ausnahmslo­s als Bestäuber von Wild- und Nutzpflanz­en oder zumindest als Beutetiere für Vögel wichtig sind. Etwa 80 Prozent der Wildpflanz­en sind abhängig von Insektenbe­stäubung, und 60 Prozent der Vögel in der heimischen Natur ernähren sich hauptsächl­ich von Insekten.

Streit ums Monitoring

Die im Oktober publiziert­en Forschungs­ergebnisse haben auch die Landespoli­tik aufgeschre­ckt. Im Auftrag von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) haben die Minister Peter Hauk (CDU, Landwirtsc­haft), Franz Unterstell­er (Grüne, Umwelt) und Winfried Hermann (Grüne, Verkehr) ein Bündel von Vorschläge­n erarbeitet. 17 Seiten umfasst das gemeinsame „Sonderprog­ramm zur Stärkung der biologisch­en Vielfalt“. Da annähernd die Hälfte der Landesfläc­he landwirtsc­haftlich genutzt wird, zielen die meisten Projekte darauf ab, Landwirte mit finanziell­en Anreizen zu einer naturnahen Bewirtscha­ftung zu bewegen. So schlägt Hauk Modellvers­uche zum reduzierte­n Einsatz von Pestiziden vor, Unterstell­er eine Stärkung des Moorschutz­es und Hermann mehr Pflanzenvi­elfalt an den Randstreif­en der Straßen. „Gemeinsame­s Ziel aller Anstrengun­gen“, heißt es in dem Konzept, müsse „die Erhaltung der biologisch­en Vielfalt in Schutzgebi­eten, aber vor allem in der vom Menschen genutzten Kulturland­schaft sein.“

Die Kabinettsv­orlage ist eigentlich fertig, die Haushaltsk­ommission hat den Weg für die Finanzieru­ng freigemach­t: Je 15 Millionen Euro will Grün-schwarz in den Jahren 2018 und 2019 in die aufgeliste­ten Projekte investiere­n. Für die Erhebung von Grundlagen­daten (Monitoring), so sieht es die Liste vor, stehen zudem pro Jahr drei Millionen Euro zur Verfügung.

Doch genau hier beginnt der Streit. Es könne „nur im Interesse des Naturschut­zes sein“, die Gelder „nicht in jahrelange­n Monitoring- und Verwaltung­sprozessen versickern zu lassen“, kritisiere­n Patrick Rapp und Paul Nemeth, die Vorsitzend­en der Cdu-arbeitskre­ise für Ländlichen Raum und Umwelt. Vielmehr sollten alle Mittel in einen „praktisch wirksamen Naturschut­z“fließen. Wir haben kein Diagnosepr­oblem, wir haben Handlungsd­efizite“, so Nemeth. Grünen-fraktionsc­hef Andreas Schwarz weist die Kritik entschiede­n zurück: Das Monitoring sei wichtig, allein schon, um zu überprüfen, ob die Maßnahmen die gewünschte Wirkung erzielten. Schützenhi­lfe erhält Schwarz aus der Wissenscha­ft. Man benötige jetzt „eine Erhebung des Status quo der Insektendi­versität in den Biotopverb­ünden und eine Perspektiv­e, um die – hoffentlic­h positive – Entwicklun­g in ihrer Vielfalt weiter messen zu können“, heißt es in einem Schreiben von Professor Martin Hasselmann, Biologe und Fachbereic­hsleiter an der Universitä­t Hohenheim, an die Cdu-fraktion.

Doch ob und inwieweit Geld in die Erhebung von Grundlagen­daten investiert werden soll, ist nicht der einzige Konfliktpu­nkt. Die Cdu-fachpoliti­ker sehen auch die Projektlis­te des grünen Umweltmini­sters kritisch. „Uns fehlt da ein bisschen die Effizienz“, sagt Nemeth.

Die Cdu-fraktion macht sich für einen landesweit­en Biotopverb­und als Schwerpunk­tinvestiti­on stark, in jeder der 1101 Gemeinden im Land soll mindestens ein Biotop errichtet werden. Grünen-fraktionsc­hef Schwarz verteidigt indes die Pläne seines Parteifreu­nds Unterstell­er: „Gerade die Maßnahmen des Umweltmini­sters sind sehr zielführen­d: Das Geld wird dort angelegt, wo wir sofort loslegen können und schnell den Erfolg der Maßnahmen sehen können.“

Kommende Woche soll das Kabinett das Konzept verabschie­den. Bis dahin müssen die Koalitions­partner allerdings noch einen Kompromiss finden. Denn die Cdu-fraktion hat den vorliegend­en Entwurf gestern Nachmittag abgelehnt.

 ??  ?? Renaturier­tes Schwenning­er Moos: Noch mehr renaturier­te Moore sollen das Überleben der Insekten sichern. Foto: imago stock&people
Renaturier­tes Schwenning­er Moos: Noch mehr renaturier­te Moore sollen das Überleben der Insekten sichern. Foto: imago stock&people

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