Heidenheimer Neue Presse

Größenwahn und Gier

Gericht Das Stiftungsz­iel war die Vermeidung von Obdachlosi­gkeit. Gedient hat das Stuttgarte­r „Nestwerk“wohl eher der Bereicheru­ng. Jetzt steht der Ex-vorstand vor Gericht.

- Roland Böhm, dpa

Es tut mir aufrichtig leid.“Er wolle sich bei allen entschuldi­gen, die durch ihn Schaden erlitten hätten, sagt der grauhaarig­e Mann vor der 6. Großen Wirtschaft­sstrafkamm­er des Landgerich­ts Stuttgart. Jahrelang soll der 70-Jährige als hauptamtli­cher Vorstand der im Sozialwohn­ungsbau tätigen Stiftung „Nestwerk“in die eigene Tasche gewirtscha­ftet haben. Laut Anklage wurde ein Schaden im zweistelli­gen Millionenb­ereich angerichte­t.

Der Mann im schwarzen Rollkragen­pulli und mit grauem Sakko müht sich um Aufklärung, viele Fragen aber bleiben. Mit einem Psychoanal­ytiker habe er seine Vergangenh­eit aufgearbei­tet, berichtet er. Dabei habe er zwei Seiten an sich erkannt: auf der einen ein „herzensgut­er Kerle“, auf der anderen „jemand, dem das Unrechtsbe­wusstsein fehlt“.

Über Jahre baute und verwaltete „Nestwerk“Wohnungen, nutzte Fördergeld, das Belegungsr­echt für zuletzt mehrere hundert Wohnungen hatte die Stadt Stuttgart. Die Stiftung ging 2010 pleite. Mit Scheinrech­nungen und gefälschte­n Urkunden soll der Angeklagte die Stiftung mindestens zwei Jahre künstlich am Leben gehalten haben.

„Nestwerk“war 1994 „zur Vermeidung von Obdachlosi­gkeit und Wohnungsno­t“gegründet worden. „Für alle, die keine Woh- nungen haben, Wohnraum zu schaffen“, so fasst der Angeklagte das Ziel zusammen. Ein Art Frauenhaus habe man geschaffen, eine Unterkunft für Straßenjug­endliche, ein Sleep-in als Notübernac­htungsstel­le für Obdachlose, und so weiter. Jedoch seien die Rechnungen „von Anfang an nicht aufgegange­n“, räumt der Angeklagte heute ein.

Urkundenfä­lschung, Bestechung und ähnliches hatten den Mann Anfang der 1990er-jahre schon mal für mehrere Jahre ins Gefängnis gebracht. Als Freigänger in Ulm soll er damals den Gründer der Stuttgarte­r Stiftung kennengele­rnt haben. Eben die- ser Mann sollte auch vor Gericht, der einstige ehrenamtli­che Vorstand ist aber laut Staatsanwa­lt Andreas Köhler auf Dauer verhandlun­gsunfähig, könne folglich auch nicht als Zeuge geladen werden. Mitangekla­gt war ursprüngli­ch auch die Ehefrau des 70-Jährigen, die als Buchhalter­in Beihilfe geleistet haben soll. Sie ist jedoch 2016 gestorben.

Mit Eimern voller Geld zur Bank

Die Vorwürfe gegen den 70-Jährigen sind atemberaub­end vielfältig: So soll er dreist auch mal die Unterschri­ft der Sozialbürg­ermeisteri­n gefälscht haben, die dem Kuratorium vorsaß. Auch Stempel, Rechnungen und Dokumente hat er laut Anklage gefälscht. Das Ganze gipfelte darin, dass er die mit Münzgeld betriebene­n Waschautom­aten in Wohnobjekt­en für Obdachlose plünderte und insgesamt 13 000 Euro in Eimern zur Bank trug. „Warum“?, fragt der Vorsitzend­e Richter Günter Necker. „Größenwahn? Gier?“, antwortet der Angeklagte. Auch soll er seinem Sohn eine der Stiftung gehörende Wohnung mietfrei überlassen haben.

Unter dem Strich steht ein Schaden in zweistelli­ger Millionenh­öhe, allein die Stadt Stuttgart blieb auf gut 4,6 Millionen Euro an Darlehen und Bürgschaft­en sitzen. Unter anderem soll der Angeklagte zwischen 2007 und 2010 Geld der Stiftung in Höhe von 1,8 Millionen Euro in die eigene Tasche gesteckt haben. Unter Vorlage falscher Urkunden soll er Darlehen von 9,2 Millionen Euro erschliche­n haben.

Mit 70 gefälschte­n Schecks soll er binnen drei Jahren eine gute halbe Million Euro der Stiftung in seine eigene Tasche geschafft haben. „Es würde mich brennend interessie­ren, wofür Sie das ausgegeben haben“, fragt Richter Necker, erhält aber keine Antwort, die ihn zufriedens­tellt. Er habe es privat „für alles mögliche“ausgegeben, sagt der Angeklagte. Weder für ein goldenes Auto noch für Reisen. Auf jeden Fall sei „alles weg“.

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„Es tut mir leid.“Der 70-Jährige vor Gericht. Foto: dpa

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