Preis des Wachstums
Der Sieger der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl wird erst am Sonntagabend feststehen. Ein Verlierer aber ist bereits ausgemacht: Es sind die bislang in der Landeshauptstadt tonangebenden Grünen. Ihre Kandidatin Veronika Kienzle tritt erst gar nicht mehr an. Nach dem schwachen Abschneiden bei der Wahl am 8. November hatte sie nicht die Autorität, alle Bewerber des sogenannten öko-sozialen Lagers für den entscheidenden zweiten Wahlgang hinter ihrer Kandidatur zu versammeln. Nun geht der Cdu-kandidat Frank Nopper als Favorit in den Schlussspurt.
Die Grünen machen für die Entwicklung zu Unrecht die im Rennen verbliebenen Mitbewerber aus dem Mitte-links-lager, den Tengener Bürgermeister Marian Schreier und den Stadtrat Hannes Rockenbauch, verantwortlich. Tatsächlich sind sie an der Misere selbst schuld. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs war auch eine Art Abwahl in Abwesenheit, ein Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Arbeit des scheidenden Grünen-ob Fritz Kuhn. Der frühere Bundespolitiker hat die in ihn gesetzten Erwartungen aus Sicht vieler Bürger schlicht nicht erfüllt. Unter diesen Voraussetzungen hätte es jede Kandidatin, jeder Kandidat der Ökopartei schwer gehabt. Hochkaräter wie Landtagspräsidentin Muhterem Aras oder der frühere Grünen-bundeschef Cem Özdemir hätten die Schatten der Vergangenheit vielleicht überstrahlen können. Eine Kandidatin ohne Wahlkampferfahrung konnte das nicht.
Was aber bedeutet die Stuttgarter Pleite für Baden-württembergs stärkste Partei? Für die Landtagswahl im März 2021 zunächst einmal: nichts. Natürlich wäre ein Wahlsieg von Nopper, eine Rückeroberung der Landeshauptstadt, eine Motivationsspritze für die Cdu-wahlkämpfer in ganz Baden-württemberg. Aber im Land haben die Grünen kein Problem an der Spitze, im Gegenteil. Ministerpräsident Winfried Kretschmann erfreut sich weiter großer Beliebtheit. Lücken tun sich eher dahinter auf, und das ist dann doch ein grundsätzlicher Problem für die auf Wachstum getrimmte Partei. Der binnen eines Jahrzehnts vollzogene, rasante Aufstieg von einer kleineren Oppositions- zur größten Regierungspartei im Land führt auch zu Wachstumsschmerzen. Eine Folge ist, dass sie nicht so viele qualifizierte Kandidaten findet wie sie Stellen besetzen könnte. So hat die Partei jüngst
Die Niederlage in Stuttgart hat keine Bedeutung für Wahl im März. Sie deckt aber grüne Schwächen auf.
in ihrer Hochburg Konstanz, wo 1996 mit Horst Frank der erste grüne OB im Land ins Amt gekommen war, keinen eigenen Kandidaten aufgeboten. Stattdessen hat sie die Bewerbung eines Mitarbeiters von Linken-bundeschef Bernd Riexinger unterstützt. So klein macht sich keine Ministerpräsidenten-partei ohne Not. Auch mangelt es den Grünen noch immer an einer ausreichenden Anzahl an guten Juristen. Die bräuchte sie, um Schaltstellen in der Verwaltung adäquat besetzen und so ihre Politik heil durch die Mühlen der Bürokratie und der manchmal sehr eigenen Welt der Paragrafen und Spiegelstriche zu bugsieren. Die Probleme sind der Parteispitze durchaus bewusst. Sie zu lösen, wird indes Zeit brauchen. Das ist der Preis für das schnelle Wachstum.