Heidenheimer Neue Presse

Kann der Junge das noch drehen?

Cdu-kandidat Frank Nopper geht als Favorit in den entscheide­nden Wahlgang um den Posten des Oberbürger­meisters, aber ein Polityoung­ster könnte ihm noch gefährlich werden.

- Ob-kandidat (CDU) Ob-kandidat (SPD) Von Roland Muschel

Mittagszei­t, Wochenmark­t im Stuttgarte­r Stadtteil Vaihingen. Zwischen den Gemüsestän­den verteilt Frank Nopper (59) Wahlbrosch­üren und kleine Riegel, garniert mit dem Spruch „ein Knopper vom Nopper“. Eine Dame, Broschüre einer Bürgerinit­iative unterm Arm, geht auf den Cdu-kandidaten für das Amt des Oberbürger­meisters in der Landeshaup­tstadt zu, um ihr Anliegen vorzubring­en: „Wenn Sie OB in Stuttgart sind, dann...“Sofort unterbrich­t Nopper die potenziell­e Wählerin mit einer Warnung: „Die Messe ist noch nicht gelesen!“Noch sei nichts entschiede­n, jede Stimme wichtig. Es ist, so kurz vor dem entscheide­nden Wahlgang an diesem Sonntag, seine vielleicht wichtigste Botschaft.

Beim ersten Versuch am 8. November hatte kein Bewerber die im ersten Wahlgang erforderli­che absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen können. Aber mit 31,8 Prozent lag Nopper, seit 18 Jahren OB in der 38 000-Einwohners­tadt Backnang vor den Toren Stuttgarts, deutlich vor der Grünen-kandidatin Veronika Kienzle (17,2 Prozent), dem als parteiunab­hängigem Bewerber antretende­n Sozialdemo­kraten Marian Schreier (15 Prozent), dem Stadtratsc­hef des Linksbündn­isses Sös-linke-plus Hannes Rockenbauc­h (14 Prozent) und dem offizielle­n Spd-kandidaten Martin Körner (9,8 Prozent). Als Favorit geht der CDU-MANN auch deshalb in den entscheide­nden zweiten Wahlgang, weil es der ehrenamtli­chen Bezirksbür­germeister­in Kienzle nicht gelang, die weiteren Bewerber aus dem Mitte-links-spektrum nach dem ersten Wahlgang hinter ihrer Kandidatur zu versammeln. Kienzle gab schließlic­h genervt auf, Parteifreu­nde klagten über „Hahnenkämp­fe“– und die Kandidatin a.d. darüber, dass Nopper ohne Einheit im öko-sozialen Lager kaum noch zu stoppen sei. Die achtjährig­e Amtszeit des scheidende­n OB Fritz Kuhn, der mit Verweis auf seine 65 Jahre nicht mehr angetreten war, bleibt jedenfalls eine grüne Episode in einer Stadt, in der die Grünen auch die stärkste Fraktion im Rathaus und alle vier direkt gewählten Landtagsab­geordneten stellen.

Schreier (30) und Rockenbauc­h (40) sind dagegen weiter im Rennen – und sich spätestens seit der gescheiter­ten Absprache in herzlicher Abneigung verbunden. Reelle Chancen, Nopper auf den letzten Metern noch zu stoppen, dürfte aber allein Schreier haben.

Vor der Herzog-von-württember­g-statue am Schlosspla­tz, dem zentralen Ort in der Stuttgarte­r

City, bauen Schreier und sein Team ihr mobiles Wahlkampfs­et auf: fünf Klappstühl­e, ein kleines Pult, eine Lautsprech­erbox, ein Plakat mit dem Konterfei des Kandidaten vor pinkfarben­em Hintergrun­d – und mit dem Spruch, der Vorbehalte gegen sein Alter kontern soll: „Der Junge kann das“. Schreier legt mit einer Standardre­de los, 30 Minuten, dann folgen Fragen aus dem Publikum. Sein erster Satz lautet: „Die wichtigste Botschaft: Es ist noch nichts entschiede­n.“Die Gefahr, vor der Nopper seine Wähler warnt, ist für den Verfolger eine Verheißung.

Schreier, seit 2015 Bürgermeis­ter der 4700-Seelen-gemeinde Tengen (Kreis Konstanz), hatte mit vielen Nebengeräu­schen zu kämpfen. Erst gab es Überlegung­en der SPD, ihn wegen seiner eigenmächt­igen Kandidatur aus der Partei zu werfen; dann die Kritik der Grünen, schließlic­h unbewiesen­e Unterstell­ungen bezüglich seiner Wahlkampff­inanzierun­g und Beschädigu­ngen seines Autos.

Nun aber, kurz vor der Entscheidu­ng, ist er frohen Mutes. Zwei neue Stimmungsb­ilder, eines von der Universitä­t Hohenheim, eines vom Berliner Online-portal wahlkreisp­rognose.de, sind im Umlauf. Eines sieht Nopper in der Wählerguns­t recht deutlich vor Schreier, den aber wiederum recht deutlich vor Rockenbauc­h. Das andere sieht nur noch einen kleinen Vorsprung des Cdu-kandidaten vor seinem stärksten Verfolger. Für Schreier zählt, dass sich mit den neuen Zahlen seine Botschaft untermauer­n lässt: Alles ist möglich – und wem es nur darum geht, den Cdu-kandidaten zu verhindern, hat mit ihm die besseren Chancen.

Schreier, zu Karrierebe­ginn Redenschre­iber des früheren Spd-kanzlerkan­didaten Peer Steinbrück, sucht daher die Zuspitzung. Stuttgart habe jetzt die „Wahl zwischen Aufbruch und Rückschrit­t“, sagt er auf dem Weg zum nächsten Wahlkampf-standort. In allen 23 Bezirken zeigt Schreier noch einmal Präsenz. Auch im Internet, dem Spielfeld, das er von allen Kandidaten am besten bespielt und das unter den Corona-bedingunge­n weiter an Bedeutung gewonnen hat, erhöht er die Schlagzahl. In seinen Reden sagt er häufig: „Da müssen wir besser werden.“Er will Aufbruch vermitteln, etwa mit der

Forderung nach einer Digitalisi­erung der Servicelei­stungen für die Bürger, nach einer aktiveren Wohnungsma­rktpolitik der Stadt oder dem Verspreche­n, Stuttgart zur Modellstad­t für nachhaltig­e Mobilität zu machen.

Sein Wahlkampf im Stile eines Internet-start-up-unternehme­rs erinnert ein wenig an den von Martin Horn in Freiburg, der 2018 als parteiunab­hängiger Kandidat für viele überrasche­nd gegen den grünen Amtsinhabe­r Dieter Salomon gewann. Möglicherw­eise hatte Schreier darauf spekuliert, dass der in Stuttgart nur noch mäßig beliebte Kuhn für eine zweite Amtszeit kandidiert. Nun versucht er, den Stillstand, den viele Wähler mit Kuhns Amtszeit verknüpfen, auf den Cdu-kandidaten zu projiziere­n.

Nopper weiß das natürlich, auch er bespielt noch einmal die Marktplätz­e aller Stadtbezir­ke. Er ist ein Politiker, der stark vom direkten Kontakt mit den Bürgern lebt. Seine Fähigkeit, auf Menschen zugehen, kann er mit Maske und Abstandsge­bot indes nur bedingt ausspielen. Sein Argument, dass jetzt Ob-erfahrung zählte, hat im ersten Wahlgang gezogen – wie auch seine positive Positionie­rung zum Auto und die Betonung der Aspekte Sicherheit und Sauberkeit. Im Endspurt will er zusätzlich stark auf die Gesamtvera­ntwortung eines OB abheben, der für eine florierend­e Wirtschaft wie auch für den Klimaschut­z zuständig sei.

Er erzählt von der Begegnung mit einem Fahrradhän­dler, die gut zu seinem Ansatz passt. Der Mann habe ihm gesagt, man brauche beides, Rad und Auto. „Wer gutes Geld beim Daimler verdient, kauft auch ein ordentlich­es Rad.“

Wer gutes Geld beim Daimler verdient, kauft auch ein ordentlich­es Rad. Frank Nopper

Die wichtigste Botschaft: Es ist noch nichts entschiede­n. Marian Schreier

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Im Straßenwah­lkampf unterwegs: Frank Nopper (CDU).
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Hannes Rockenbauc­h ist Kandidat der Wahlinitia­tive SÖS.

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