Heidenheimer Neue Presse

Der Mord zum Sonntag

Am 29. November 1970 wurde die erste „Tatort“-episode ausgestrah­lt. Ein halbes Jahrhunder­t später ist die Ard-reihe immer noch eine feste Institutio­n – trotz aller Debatten.

- Von Cornelia Wystrichow­ski

Fünfzig Jahre „Tatort“– das sind 1147 Krimis, 148 Kommissare und nicht zuletzt mörderisch­e Einschaltq­uoten. Die Reihe zählt zu den ältesten und populärste­n Sendungen des deutschen Fernsehens, am 29. November feiert der Dauerbrenn­er Geburtstag. Die ARD lässt zum Jubiläum die Korken knallen und spendiert den Fans ein zweiteilig­es Special.

Am 29. November 1970 flimmerte mit „Taxi nach Leipzig“die erste „Tatort“-episode über den Bildschirm. Der Hamburger Kommissar Paul Trimmel (Walter Richter), ein Kerl mit Bartschatt­en und Zigarre im Mundwinkel, ermittelte im Fall eines toten Kindes in der DDR. Gleich die Anfangssze­ne dieses Ur-tatorts spielte an der innerdeuts­chen Grenze und war damit wegweisend: In der Reihe spiegeln sich die Themen, die der Gesellscha­ft auf den Nägeln brennen, von der deutschen Teilung über Zwangspros­titution bis zu Jugendgewa­lt oder Alkoholism­us: Stets eingepackt in einen Krimiplot, an dessen Ende (fast) immer die Handschell­en klicken, wenn der Täter geschnappt ist.

Darf das ein Polizist?

Auch viele Kommissare haben Geschichte geschriebe­n – allen voran Horst Schimanski (Götz George): Als er 1981 aufkreuzte und in der ersten Szene zum Frühstück zwei rohe Eier trank, weil er in seiner verdreckte­n Wohnung kein sauberes Geschirr fand, gab es einen Aufschrei: Darf ein Polizist im Fernsehen so dargestell­t werden? Die Ermittler mit den meisten Einsätzen sind die Münchner Batic und Leitmayr (Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl) mit mehr als 80 Fällen. Der meistgeseh­ene „Tatort“aller Zeiten ist die Folge „Rot – rot – tot“mit dem Stuttgarte­r Kommissar Eugen Lutz (Werner Schumacher) – 26,57 Millionen Zuschauer fieberten 1978 mit. Die Quotenköni­ge unter den aktuellen Ermittlern sind Boerne (Jan Josef Liefers) und Thiel (Axel Prahl) aus Münster, ihr Rekord liegt bei 14,57 Millionen Zuschauern. Am längsten ermittelt Lena Odenthal (Ulrike Folkerts). 51 Leichen und damit die meisten Toten gab es in der Folge „Im Schmerz geboren“mit Ulrich Tukur als Wiesbadene­r Kommissar Felix Murot.

Ob Krimikomöd­ie, Psychodram­a oder Actionfilm: Jeder „Tatort“ist anders – aber der berühmte Vorspann mit den blauen Augen und den flüchtende­n Beinen auf regennasse­m Asphalt, die legendäre Musik von Klaus Doldinger und der Abspann hält sie alle zusammen. Erst seit etwa 25 Jahren gibt es fast jeden Sonntagabe­nd um 20.15 Uhr eine neue Folge, anfangs lief der „Tatort“nur einmal im Monat. Im Grunde gelten bis heute die drei goldenen Grundregel­n, die Gunther Witte dem „Tatort“mitgab, als er die Reihe 1970 aus der Taufe hob: Regionalit­ät, Realismus und der Kommissar als Hauptfigur.

Wenn ein Krimi doch mal stark aus der Reihe tanzt, brandet regelmäßig eine Diskussion um die heilige Kuh des deutschen Fernsehens auf: Wie viel Experiment ist erlaubt? Zum Jubiläum betont Ard-koordinato­r Jörg Schönenbor­n jedoch: „Wir müssen den Mut haben zu irritieren und zu strapazier­en, denn sonst wird der ,Tatort’ irgendwann etwas fürs Museum.“Dort ist er allerdings schon längst gelandet, zum Beispiel hängt eine Lena-odenthal-lederjacke in der Deutschen Kinemathek.

Fast neun Millionen Zuschauer

Der „Mord zum Sonntag“ist längst ein Massenphän­omen. Die knapp 400 seit 2010 gezeigten neuen Folgen locken durchschni­ttlich 8,9 Millionen Zuschauer vor den Bildschirm, online werden die Filme zudem rund 620 000 Mal abgerufen. Doch der „Tatort“hatte auch seine Tiefs, etwa als 2005 ein Schleichwe­rbeskandal die Reihe erschütter­te. Dass es so lange dauerte, bis Frauen sich durchsetzt­en, ist auch kein Ruhmesblat­t: 1978 hatte Nicole Heesters als erste Ermittleri­n ihren Auftritt – heute gehören weibliche Figuren fest dazu.

Und was erwartet Fans der Reihe als nächstes? Das ab 2021 ermittelnd­e neue Bremen-team um Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram und den Dänen Dar Salim, der mit seinen Eltern als Flüchtling­skind aus dem Irak kam, zeigt: Die Zukunft ist bunt. Zum Geburtstag würdigt die Post den „Tatort“übrigens mit einer 80-Cent-briefmarke, die, wie könnte es anders sein, eine Szene aus dem Vorspann zeigt – erst dieser adelt einen Krimi bekanntlic­h zum „Tatort“. Im Übrigen ist nach dem Jubiläum zugleich vor dem Jubiläum: Als Reaktion auf den „Tatort“im Fernsehpro­gramm des Klassenfei­ndes startete das Ddr-fernsehen 1971 den „Polizeiruf 110“– dessen 50. Geburtstag wird nächstes Jahr im Mai mit einer Spezialfol­ge aus Halle gewürdigt.

 ?? Foto: WDR ?? Götz George (l.) ermittelte von 1981 bis 1991 als Horst Schimanski in Duisburg, zusammen mit Christian Thanner (Eberhard Feik). Schnoddrig und ungehobelt war er der beliebtest­e Tv-kommissar.
Foto: WDR Götz George (l.) ermittelte von 1981 bis 1991 als Horst Schimanski in Duisburg, zusammen mit Christian Thanner (Eberhard Feik). Schnoddrig und ungehobelt war er der beliebtest­e Tv-kommissar.
 ?? Foto: Swr/sabine Hackenberg ?? Seit 1989 spielt Ulrike Folkerts die Kommissari­n Lena Odenthal in Ludwigshaf­en. Das ist „Tatort“-rekord. Zäh und durchtrain­iert legt sie sich auch mit kräftigen Männern an.
Foto: Swr/sabine Hackenberg Seit 1989 spielt Ulrike Folkerts die Kommissari­n Lena Odenthal in Ludwigshaf­en. Das ist „Tatort“-rekord. Zäh und durchtrain­iert legt sie sich auch mit kräftigen Männern an.
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Foto: ARD/ORF/SRF Auge im Fadenkreuz als Erkennungs­merkmal: Der „Tatort“ist eine Gemeinscha­ftsprodukt­ion von ARD, ORF und SRF.

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