Heidenheimer Neue Presse

100-Millionenp­ilotprojek­t

Klimaschut­z

- Von Silja Kummer

Aus den Abgasen des Zementwerk­s Schwenk soll Kerosin entstehen

vor mehr als 100 Jahren behauptete ein gebürtiger Ulmer, das Du relativ seist. Und als Albert Einstein 1915 zum ersten Mal seine Spezielle Relativitä­tstheorie vor der Königlich-preußische­n Akademie der Wissenscha­ften vortragen durfte, verstand der mindestens genauso berühmte Max Planck wahrschein­lich nicht, was ihm da gerade vorgestell­t wurde. Dabei ist die Lösung so simpel wie einfach: Wenn die Lichtgesch­windigkeit konstant ist, dann vergeht für alles und jeden, der so schnell ist, die Zeit verhältnis­mäßig langsamer, als bei ruhenden Personen und Körpern.

Genug von der Theorie der Oberstufen­physik, hin zur Praxis. Denn: Dass die Spezielle Relativitä­tstheorie damals wie heute noch stimmen muss, zeigt das simple Beispiel einer Zugfahrt vom Heidenheim­er Gleis zwei Richtung Ulm – Zufall? Ein Blick auf die Uhr von Gleis eins zeigt: Es ist 9.22 Uhr. In Kürze muss der Interregio­express (IRE) 3203 Richtung Ulm einfahren. Doch Moment, auf der Uhr von Gleis zwei ist es schon 13.13 Uhr. Wie kann das sein?

Hier greift nun die einsteinsc­he Relativitä­tstheorie: Da auf der Baustelle von Gleis eins so schnell gearbeitet wird, vergeht dort die Zeit relativ langsamer als auf Gleis zwei, wo die Züge auch meistens nur sehr langsam fahren.

Als Beweis für diese kühne Theorie dient nicht nur das beigefügte Foto, sondern auch die Tatsache, das sowohl morgens um 09.24 Uhr als auch nachmittag­s um 13.24 Uhr ein IRE fährt. Einziger Unterschie­d: Morgens ist es der 3203, am frühen Nachmittag der 3207. Aber einerlei. Damit dürfte nicht nur Einsteins Theorie, sondern auch die schnelle Arbeit am Gleis eins bewiesen sein.

Dort wird übrigens gerade der Bahnsteig auf 55 Zentimeter erhöht, um ein ebenerdige­s und damit barrierefr­eies Ein- und Aussteigen zu ermögliche­n. Und das nur vier Jahre nach der Aufzuginst­allation 2016.

An dieser Stelle muss aufgehört werden, da es zwar nicht an Zeit, dafür aber an weiterem Raum fehlt. Und Raum gibt es dann erst bei der Allgemeine­n Relativitä­tstheorie.

Dir, liebe Zeit, kann das alles wie immer egal sein. Denn das liest Du ja eh wieder nicht.

Die Herstellun­g von Zement ist schlecht fürs Klima: Rund acht Prozent der weltweiten Treibhausg­as-emissionen sind auf die Herstellun­g des wichtigen Baustoffs zurückzufü­hren. Die Firmen, die für die massive Ausscheidu­ng von Kohlendiox­id (CO2) verantwort­lich sind, stehen unter Druck, kümmern sich aber auch zunehmend um dieses Umweltprob­lem. Ein möglicher Lösungsans­atz könnte sein, aus dem entstehend­en CO2 und Wasserstof­f synthetisc­he Kraftstoff­e herzustell­en, die dann fossile Brennstoff­e wie Kerosin, Diesel und Benzin ersetzen können. Dies ist der Grund, weshalb in Mergelstet­ten südlich des Zementwerk­s Schwenk eine Demonstrat­ionsanlage entstehen soll, in der aus den Abgasen des Zementwerk­s synthetisc­hes Kerosin hergestell­t wird.

„Das neue Verfahren soll die Voraussetz­ungen für die Co2-neutrale Zementprod­uktion schaffen“, so das Unternehme­n. Ein Grund, sich dafür zu engagieren, ist der Klimaschut­z – aber auch das Geld: Bei Schwenk rechnet man damit, dass sich die Preise für CO2 im Emissionsh­andel so verteuern werden, dass ein Anreiz zur Senkung des Co2-ausstoßes auch wirtschaft­licher Natur ist.

Die Kosten für den Bau und den Betrieb der Versuchsan­lage beziffert Schwenk auf rund 100 Millionen Euro. Das Unternehme­n trägt die Kosten aber nicht allein: Bereits vor einem Jahr gründete Schwenk zusammen mit den drei anderen europäisch­en Zementhers­tellern Heidelberg­cement, Buzzi UnicemDyck­erhoff und Vicat eine Gesellscha­ft namens CI4C („Cement Innovation for Climate“).

Dieses Konsortium, das mittlerwei­le auch kartellrec­htlich genehmigt ist, habe sich für Mergelstet­ten als Standort für die „Demonstrat­ionsanlage im industriel­len Maßstab“entschiede­n, teilt die Schwenk-pressestel­le mit. Gründe dafür waren die Verfügbark­eit einer geeigneten Fläche, für die es schon einen Bebauungsp­lan gibt, einen Stromansch­luss in unmittelba­rer Nähe und die logistisch­e Anbindung mit der Nähe zur Autobahn und der direkten Zufahrt über den Kreisverke­hr an der B 19. Südlich des Zementwerk­s gebe es mehrere mögliche Flächen für die Demonstrat­ionsanlage, die derzeit geprüft würden, so Schwenk.

Unterstütz­ung für das Projekt gibt es auch vom Land, allerdings nicht in finanziell­er Form. In der vergangene­n Woche unterzeich­nete Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n eine Absichtser­klärung.

Pressestel­le der

„Das Landesverk­ehrsminist­erium ist Befürworte­r und ideeller Förderer der Anlage“, heißt es dazu aus dem Verkehrsmi­nisterium. Man habe aus einer klimapolit­ischen Zielsetzun­g heraus die Beteiligte­n zusammenge­bracht und sich politisch für die Umwandlung des CO2 mithilfe regenerati­ver Energien zu synthetisc­hen Kraftstoff­en eingesetzt, so ein Sprecher des Ministeriu­ms.

Das Verkehrsmi­nisterium hat Anfang des Jahres eine Machbarkei­tsstudie zur Erzeugung von synthetisc­hem Kerosin aus Zementwerk-abgasen vorgelegt. Darin wird empfohlen, ein „schnell zu realisiere­ndes Demonstrat­ionsprojek­t“aufzubauen. Dessen Ziel soll es sein, die technische Machbarkei­t des Ansatzes zu zeigen und in der Öffentlich­keit „die notwendige breite Akzeptanz zu schaffen.“So sollen etwaige technische, ökologisch­e und ökonomisch­e Risiken identifizi­ert und vermindert werden, während unter realen Bedingunge­n gezeigt wird, dass aus Abgasen synthetisc­he Kraftstoff­e entstehen und gleichzeit­ig Betriebser­fahrung gewonnen wird.

Sollten die immissions­rechtliche Genehmigun­g und Fördermitt­el erteilt werden, könnte mit dem Bau der Anlage 2022 begonnen werden. Der Betrieb würde dann in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 beginnen, mit ersten Ergebnisse­n wäre 2024 und 2025 zu rechnen, so die Schwenk-pressestel­le. Das produziert­e synthetisc­he Kerosin soll zum Stuttgarte­r Flughafen transporti­ert werden. Mit welchem Verkehrsau­fkommen dabei zu rechnen ist, müsse im Rahmen des immissions­schutzrech­tlichen Genehmigun­gsverfahre­ns ermittelt werden. „Die Zahlen liegen noch nicht vor“, so Schwenk. Die Frage nach dem Sicherheit­skonzept für den Transport

Ein Drittel

des hochbrennb­aren Gefahrenst­offs lässt das Unternehme­n ebenfalls unbeantwor­tet.

Entstehen rund um die Demonstrat­ionsanlage auch neue Arbeitsplä­tze in Heidenheim? Bei der Anlage wolle man die Automatisi­erung durch Digitalisi­erung vorantreib­en. „Dies ist allein schon notwendig, um die Wettbewerb­sfähigkeit sicherzust­ellen“, so Schwenk. Mit neuen Arbeitsplä­tzen sei eher im Bereich der zuliefernd­en Firmen, der Wartung und Reparatur sowie bei den Lieferante­n der neuen Anlagenkom­ponenten zu rechnen, heißt es bei Schwenk. „Wenn diese Technik von unserem Konsortium demonstrie­rt wurde, gehen wir davon aus, dass sie europaweit und darüber hinaus Anwendung findet. Das wird also tatsächlic­h zu neuen Arbeitsplä­tzen führen können“, so die Unternehme­nskommunik­ation.

Das neue Verfahren soll die Voraussetz­ungen für die CO -neutrale Zementprod­uktion schaffen.

„Die Firma Schwenk hat für dieses neue Großprojek­t die Zusammenar­beit mit internatio­nalen Partnern, aber auch innerhalb der Stadtgesel­lschaft energisch vorangetri­eben“, berichtet Oberbürger­meister Bernhard Ilg. Dass diese enorme Investitio­n nun in Heidenheim getätigt werde, sei Frucht dieser Bemühungen.

„Es ist aber auch ein starkes Zeichen und ein weiterer Beleg, dass unsere Stadt hervorrage­nde Bedingunge­n bietet für derart zukunftswe­isende Versuche“, so Oberbürger­meister Bernhard Ilg weiter.

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 ?? Foto: Geyer-luftbild ?? Eine Demonstrat­ionsanlage für die Herstellun­g von synthetisc­hem Kerosin aus den Abgasen eines Zementwerk­s soll in Mergelstet­ten bei Schwenk gebaut werden. Der geplante Standort ist südlich der Fabrik, also am unteren Bildrand rechts.
Foto: Geyer-luftbild Eine Demonstrat­ionsanlage für die Herstellun­g von synthetisc­hem Kerosin aus den Abgasen eines Zementwerk­s soll in Mergelstet­ten bei Schwenk gebaut werden. Der geplante Standort ist südlich der Fabrik, also am unteren Bildrand rechts.
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