Heidenheimer Neue Presse

Mit Nervennahr­ung durch den Arbeitstag

Der Schreibtis­ch des Chefs (70)

-

Süß muss es zugehen: Der Giengener Verpackung­sspezialis­t Michael Greiner lässt auf seinen Schreibtis­ch blicken.

Zeit ist Geld: Diese Gleichung, die der amerikanis­che Politiker, Schriftste­ller, Naturwisse­nschaftler und Verleger Benjamin Franklin 1748 in seinem Buch „Ratschläge für junge Kaufleute“aufgestell­t hat, ist Alltagsges­etz bei der Neru Gmbh in Burghagel. „Zeit haben wir eigentlich nie“, sagt Geschäftsf­ührer Michael Greiner. „Was heute an zu verarbeite­ndem Material bei uns angeliefer­t wird, hätte gestern schon beim Kunden sein sollen.“Gegen Stress hilft Nervennahr­ung, die ihn in Form von Süßigkeite­n durch den Tag begleitet – und organisier­tes, schrittwei­ses Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten.

Nach einer Tasse Kaffee fährt er gegen 8 Uhr ins Büro, Feierabend macht er gegen 17 Uhr. Was genau in den Stunden dazwischen zu tun ist, stellt sich oft erst im

Laufe des Tages heraus. Eine Mail am späten Abend, ein Anruf in aller Früh, und schon fällt der Startschus­s für einen neuen Auftrag. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Mal ist wochenweis­e nichts zu tun. Oft kommt alles zusammen. In Hochzeiten sind Überstunde­n gefragt, es ist Betrieb bis in den Abend hinein, auch an Wochenende­n oder Feiertagen packen die Mitarbeite­rinnen mit an. Aus diesem Grund beschäftig­t die Neru Gmbh neben 23 Festangest­ellten in der Verwaltung auch viele 450-Euro-kräfte. Dennoch gebe es einen großen Zusammenha­lt innerhalb der Belegschaf­t, das zeigte sich gerade auch in Corona-zeiten. Viele Frauen hätten Aufträge in Heimarbeit erledigt, manche hätten gar ein Familien-event daraus gemacht. „Der Tenor war: Wenn mal wieder so was ist, kannst Du auf uns zählen. Aber das beruht auf Gegenseiti­gkeit. Ich verhalte mich loyal und respektvol­l und sage auch gerne Danke.“

Jedes Jahr in Bildern

Die Neru Gmbh wurde 1985 von Michael Greiners Adoptivelt­ern und Karl-heinz Ruzicka als Serviceund Dienstleis­tungsbetri­eb gegründet. Die ersten Aufträge waren Verpackung­sdienstlei­stungen, die komplett von Hand verrichtet wurden. Die Auftragsla­ge ermöglicht­e schon nach drei Jahren Expansion. Die ehemalige Grundschul­e in Burghagel wurde gekauft und zum Firmensitz umfunktion­iert. Auch heute noch sind dort Büros und ein Teil der Logistik untergebra­cht, in einem Anbau befindet sich die Konfektion­ierung. Zur Firma gehören außerdem zwei weitere Lagerhal

len in Bachhagel. Das Dienstleis­tungs-portfolio erweiterte sich mit den Nachfragen der Kunden zunächst um den Postversan­d von Werbesendu­ngen, den Digitaldru­ck von personalis­ierter Werbung und die maschinell­e Kuvertieru­ng. Mit den Jahren kamen auch ein Lettershop-bereich und die Lagerlogis­tik hinzu.

Nach vielen Ferienjobs, vielen weiteren Hilfstätig­keiten im Betrieb und einer Lehre zum Industriek­aufmann stieg der Vater zweier Töchter im Jahr 2002 schließlic­h in das Unternehme­n ein. Im Abendstudi­um sattelte er den Wirtschaft­sfachwirt drauf, seit Dezember 2015 wurde er als Nachfolger seines Adoptivvat­ers zu einem von zwei Geschäftsf­ührern ernannt. Karl-heinz Ruzickas

Sohn Dirk ist ebenfalls seit fünf Jahren Teil der Führungsri­ege. Entscheidu­ngen werden gemeinsam getroffen und getragen. Die Aufgabenbe­reiche sind allerdings streng getrennt. So kümmert sich Diplominge­nieur Dirk Ruzicka überwiegen­d um Personalan­gelegenhei­ten, während Michael Greiner seine Zuständigk­eiten aus den Anfangsjah­ren beibehalte­n und um einige Bereiche erweitert hat: Homepage, Eigenwerbu­ng, Kundenbetr­euung, Akquise,

Rechnungse­rstellung. Besonders spannend findet er die Besprechun­gen in der Konfektion­ierung. Von Kunden gestaltete Prototypen werden gemeinsam getestet, ein „Zeitdummie“wird erstellt. „Ich muss grob wissen, wie viele Handgriffe sind nötig und wie lange ein einzelner Arbeitssch­ritt dauert. Auf dieser Basis gebe ich dann ein Angebot ab.“

Der 40-Jährige gibt viel auf die Erfahrung seiner langjährig­en Mitarbeite­rinnen. Das Verhältnis ist familiär, man kennt sich seit einer halben Ewigkeit. Doch genau diese Vertrauthe­it könnte in nicht allzu ferner Zukunft zum Problem werden. Reihenweis­e werden sich Frauen innerhalb kurzer Zeit in den Ruhestand verabschie­den. Schon jetzt laufen deshalb Gespräche, Festanstel­lungen werden verbindlic­h vereinbart, man will die Stellen intern nachbesetz­en, weil die Konfektion­ierung kein klassische­r Lehrberuf ist. Rentnerinn­en sind weiterhin als Arbeitskrä­fte willkommen, die älteste Mitarbeite­rin ist über 70 Jahre alt. „Natürlich lässt die Leistungsf­ähigkeit nach. Aber ich finde es fair, die Menschen, die zum Erfolg der Firma beigetrage­n haben, auch im Alter zu unterstütz­en. Manchmal reicht die Rente einfach nicht aus.“

Die Liste der Stammkunde­n ist lang. Neben Hartmann, dem Auftraggeb­er der ersten Stunde, nennt Michael Greiner Namen wie Voith, Steiff, Zeiss und Gardena.

Hübsch, bruchsiche­r, preisbewus­st

Kaubonbons aus der Dose

Dementspre­chend groß ist die Bandbreite der Aufträge, Standard-lösungen sind vor allem im Bereich der Konfektion­ierung selten. Hübsch verpackt sollen die Produkte zügig in den Läden und bei Kunden ankommen, unbeschädi­gt und zu einem günstigen Preis. In diesem Spannungs-viereck bleibt nicht immer Zeit für optimale Lösungen, Kreativitä­t ist aber immer gefragt. Aktuelles Beispiel ist die Verpackung für einen Do-it-yourself-gin, die im Zusammensp­iel mit dem Anbieter erarbeitet wurde. Das Ergebnis: Filigrane Reagenzglä­ser wurden mit Gewürzen befüllt, mit Etiketten beklebt und in eine Halterung aus Pappe gelegt, dazu sollten zwei Flaschen, ein Trichter und eine Anleitung Platz finden in dem Paket. Auf Bestellung werden Tausende Gin-baukästen nun von Bachhagel aus auf die Reise in alle Welt geschickt.

Die Neru Gmbh wurde 1985

Michael Greiner

„Viele Hände, schnelles Ende“: Die Schlagkräf­tigkeit, mit der das Unternehme­n auf der Internetse­ite wirbt, war während des ersten Lockdowns Gold wert. Nach einer langen Durststrec­ke flatterte ein Großauftra­g ins Haus. Fünf Millionen Masken mussten eingetütet werden. „Nach dem roten Sommer sieht es finanziell nun nach einem schwarzen Jahr aus, das ist doch toll in so einem besonderen Jahr.“Ebenso erfreut ist er über das Umdenken, das er bei einigen Auftraggeb­ern beobachtet. Oft habe es in der Vergangenh­eit Preisverha­ndlungen gegeben, für die Billiganbi­eter aus Osteuropa und Asien den Boden bereitet hätten. Seit dem Frühjahr gehe es in Richtung Regionalit­ät, auch bei großen Konzernen. Europa als Ausführung­sort als Mindestanf­orderung, Deutschlan­d ein häufig geäußerter Wunsch: „Oft wurden einzelne Arbeiten nach Übersee vergeben. Dass die Ersparnis auf Kosten der Umwelt ging, hat nicht interessie­rt. Nun werden die Transportw­ege kürzer und der Verkehr wird weniger.“

Michael Greiner ist in Giengen zu Hause. Er lebt seit Juni in Trennung und nur drei Gehminuten entfernt von seinen Töchtern Emilia und Elisa, mit denen er viel Zeit verbringt. Jede zweite Woche ist er vier Tage zu Besuch bei seinem Lebensgefä­hrten in Ludwigsbur­g. Freitag und Montag wird von dort aus im Homeoffice gearbeitet. In diesen Stunden ist Zeit, konzentrie­rt an Themen zu arbeiten, für die während der Alltagshek­tik kaum eine ruhige Minute bleibt. Die Wochenende­n sind im Wechsel für die Kinder reserviert oder für einen gemütliche­n Start in den Tag und lange Spaziergän­ge in den Weinbergen rund um Stuttgart: „Damit ist meine Lebenszeit ausgefüllt. Und wenn sich doch mal ein paar freie Minuten ergeben, setze ich mich an den Laptop. Als Unternehme­r hat man immer etwas für die Firma zu tun.“

Es sieht nach einem schwarzen Jahr aus.

Nächste Woche

 ??  ?? Gegenüber vom Chef-schreibtis­ch hängt ein Kalender mit Fotos von Michael Greiners Töchtern Emilia (9) und Elisa (7): „Ich freue mich immer, wenn ich die beiden sehe.“
ist Industriek­aufmann und Wirtschaft­sfachwirt. Im Jahr 2002 stieg er in den Betrieb seiner Verwandten ein, seit Dezember 2015 ist er Geschäftsf­ührer der Neru Gmbh. Der 40-Jährige hat zwei Töchter und lebt in Giengen. Weil er in jungen Jahren beinahe die ganze Welt bereist hat, genügt ihm heute das Allgäu als Urlaubszie­l.
Gegenüber vom Chef-schreibtis­ch hängt ein Kalender mit Fotos von Michael Greiners Töchtern Emilia (9) und Elisa (7): „Ich freue mich immer, wenn ich die beiden sehe.“ ist Industriek­aufmann und Wirtschaft­sfachwirt. Im Jahr 2002 stieg er in den Betrieb seiner Verwandten ein, seit Dezember 2015 ist er Geschäftsf­ührer der Neru Gmbh. Der 40-Jährige hat zwei Töchter und lebt in Giengen. Weil er in jungen Jahren beinahe die ganze Welt bereist hat, genügt ihm heute das Allgäu als Urlaubszie­l.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany