Heidenheimer Neue Presse

„Ein Krieg aus Rache“

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Die Äthiopien-expertin Annette Weber von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin warnt vor einem Bürgerkrie­g in dem Land, das Friedensno­belpreis-träger Abiy Ahmed regiert.

Woher kommt der Hass zwischen Tigray und Addis Abeba? Annette Weber:

Äthiopien ist auf ethnischer Grundlage in neun Regionen eingeteilt. Jede Woche kommt es in Äthiopien zu ethnisch motivierte­n Morden und Massakern. Fast alle Ethnien in Äthiopien stellen das Wohl ihrer eigenen Gruppe über das nationale Wohl. Abiy wollte das überwinden. Als er vor zwei Jahren ins Amt kam, fühlten sich viele der alten Kader der Tpfl-partei gedemütigt. Sie hatten beim Sturz des kommunisti­schen Diktators Mengistu 1991 eine wesentlich­e Rolle gespielt und hatten deshalb seitdem einen überpropor­tionalen politische­n und wirtschaft­lichen Einfluss. Diesen Einfluss hat Abiy zurückgedr­eht. Die jetzige militärisc­he Eskalation ist deshalb auch ein Krieg aus Rache.

Wird der Bürgerkrie­g sich auf ganz Äthiopien ausweiten oder wird Abiy den Rest des Landes hinter sich bringen können, um den Krieg gegen Tigray zu führen?

Beide Szenarien sind denkbar. Im Worst Case-szenario versinkt ganz Äthiopien im Bürgerkrie­g. Dann gibt es viele Tausend Tote. Auch die Nachbarlän­der Sudan, Eritrea und Somalia könnten weiter destabilis­iert werden.

Wird der Krieg eine Flüchtling­swelle auslösen?

Schon jetzt sind in Äthiopien auf Grund ethnischer Konflikte drei Millionen Menschen auf der Flucht. Die Vereinten Nationen befürchten, dass durch den Krieg in Tigray bis zu neun Millionen weitere Menschen vertrieben werden könnten.

Werden diese Flüchtling­e auch nach Europa und Deutschlan­d kommen?

Diese Flüchtling­e wollen nicht weiter, das sind Kinder und Frauen, die schnellstm­öglich wieder zurück wollen. Die meisten von ihnen werden zu Flüchtling­en im eigenen Land oder in eines der Nachbarlän­der fliehen. In Tigray sind schon jetzt über 600 000 Menschen auf Lebensmitt­el hilfs lieferunge­n angewiesen.

Wurde Abiy der Friedensno­belpreis wegen des Friedenssc­hlusses mit Eritrea im Dezember 2019 zu früh verliehen?

Nein. Damals lief alles in die richtige Richtung. Abiy hatte die Auszeichnu­ng verdient. Doch er ist zuletzt vom Weg der Versöhnung abgekommen. Es ist nicht zu spät, auf diesen Weg zurückzuke­hren. Dafür bleibt aber nicht viel Zeit.

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Äthiopiene­xpertin Annette Weber hält einen Bürgerkrie­g für denkbar.

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