Heidenheimer Neue Presse

Riskante Unruhe am Golf

Hat Israels Geheimdien­st einen iranischen Atomexpert­en ermordet? Teheran zwischen Beschwicht­igung und Rache.

- Martin Gehlen

Die auf dem blauen Nissan-pickup versteckte Bombe war so gewaltig, dass sie sogar die örtliche Stromverso­rgung ausknockte. Mohsen Fakhrizade­h war auf dem Weg nach Hause in den Bergort Absard östlich von Teheran, als die Wucht der Explosion seinen Wagen zum Stehen brachte. Die Attentäter rasten in einem SUV heran und eröffneten das Feuer auf den „Vater des iranischen Atomprogra­mms“, wie Israels Premier Benjamin Netanjahu den Getöteten nannte. Auf dem Asphalt zurück ließen sie den schwer verletzten Atomphysik­er, der wenig später im Krankenhau­s starb.

Die Bluttat trägt die Handschrif­t des israelisch­en Geheimdien­stes Mossad und könnte kurz vor Ende der Amtszeit von Donald Trump in einen militärisc­hen Schlagabta­usch zwischen den Vereinigte­n Staaten und der Islamische­n Republik münden. Erst vorletzte Woche diskutiert­e der scheidende Us-präsident mit engsten Vertrauten Möglichkei­ten,

Irans Atomanlage­n zu bombardier­en. Vizepräsid­ent Mike Pence, Außenminis­ter Mike Pompeo und Generalsta­bschef Mark Milley rieten ab. Trotzdem ließ das Pentagon demonstrat­iv zwei B-52-bomber, die Atombomben abwerfen können, von ihrer Luftwaffen­basis in Nord Dakota aus zu einem Non-stop-flug an den Golf starten, „um Aggression­en zu vereiteln und die Us-partner zu beruhigen“, wie das Oberkomman­do mitteilte. Die israelisch­e Armee erhielt nach lokalen Medienberi­chten die Anweisung, sich für mögliche Vergeltung­sschläge Teherans zu rüsten.

Hardliner drängen auf Reaktion

Die Häufung schwerster Attentate während der vergangene­n Monate stellt die zerstritte­ne Machtelite der Islamische­n Republik vor ein politische­s Dilemma. Die Hardliner drängen auf eine rasche Antwort. Wenn der Iran nichts tue, würden Israel und die USA nur zu weiteren Terrorakti­onen ermutigt. Revolution­sführer Ali

Khamenei erklärte zur obersten Priorität, „das Verbrechen aufzukläre­n und die Täter definitiv zu bestrafen“. Mit einer iranischen Kommandoak­tion oder gar einen offenen Waffengang jedoch riskieren die Hardliner daheim den weiteren wirtschaft­lichen Niedergang und neue innere Unruhen, wie zuletzt vor einem Jahr im November 2019.

Die Moderaten um Präsident Hassan Rohani dagegen wissen, nur wenn Iran diese Demütigung wegsteckt, gibt es nach der Amtseinfüh­rung von Joe Biden eine Chance für die Rückkehr zum Atomvertra­g und für die dringend nötigen Erleichter­ungen bei den Sanktionen. Für Rohani war der Atomvertra­g 2015 der größte diplomatis­che Erfolg seiner Präsidents­chaft, bis Trump im Mai 2018 aus dem Abkommen ausstieg. Am 18. Juni wird ein Nachfolger für Rohani gewählt. Ein moderater Kandidat hätte nur dann eine Chance, wenn es Lichtblick­e im Verhältnis zu Amerika unter Biden gibt.

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