Heidenheimer Neue Presse

Ein bisschen Wärme und Würde

Warmer Kaffee, Wurstbrot und Gespräche – in der Stuttgarte­r Franziskus-stube finden in Not Geratene Hilfe und ein offenes Ohr. In Corona-zeiten ist das nicht selbstvers­tändlich. Ein Besuch.von

- Sylvia Rizvi

Um 7.30 Uhr geht’s los mit einer kurzen Morgenanda­cht. Danach schenkt Schwester Margret (74) mit zwei Ehrenamtli­chen Kaffee und Tee ein und stellt Brotkörbe auf gelbe Tischdecke­n mit Sonnenblum­en. Neun Männer und eine Frau sind an diesem Donnerstag da. Die Frau hat Geburtstag. Schwester Margret hat daran gedacht und zündet eine Wunderkerz­e an. Die Frau lächelt verlegen, freut sich. Einer schluckt seine Tabletten zum heißen Getränk. Ein Cd-player spielt leise eine Serenade von Haydn.

Die Franziskus-stube der Caritas öffnet werktags von 7.30 bis 9.30 Uhr ihre Türen für Menschen in Not. Unter ihnen sind Wohnungslo­se, Drogenabhä­ngige, Arbeitsuch­ende aus Osteuropa, Messies und psychisch Kranke, die ihre Wohnungen nicht halten können. Es kommen Einzelgäng­er und Menschen direkt von der Straße. Mit einer Sondergene­hmigung darf Schwester Margret ihnen ein Frühstück anbieten. „Mir ist es wichtig, dass Wohnungslo­se und Arme als Menschen respektier­t werden“, sagt die Franziskan­erin, die mit bürgerlich­en Namen Margret Ebe heißt. Manchmal weiß sie auch eine Wohnung oder hat einen Tipp für Arbeit.

Die Gäste lesen Zeitung oder schweigen. Für den 68-jährigen Friedrich kein Wunder: „An den kleinen Tischen sitzt nur Einer, an den großen sitzen nur Drei, da wird es schwierig mit der Unterhaltu­ng.“Das Corona-virus fordert Abstand. Friedrich sitzt am Fenstertis­ch. „Ich komme oft her.

Hier gibt es im Winter Wärme – und ein Stück Würde.“Der Akademiker mit medizinisc­h-naturwisse­nschaftlic­hem Diplom erkrankte vor acht Jahren schwer und wurde obdachlos. Heute hat er wieder eine kleine Wohnung und bezieht Rente. Friedrich mag die Atmosphäre und die leise Musik. „Ich habe hier gute Bekannte gefunden.“

Normalerwe­ise kommen täglich etwa 50 Leute. Wegen Corona sind es nun 30. Alle müssen ihre Hände desinfizie­ren und sich in die Anwesenhei­tsliste eintragen. „Da haben wir ein Auge drauf“, sagt Schwester Margret. Zehn Personen darf sie gleichzeit­ig bewirten. Nach einer halben Stunde müssen Gesättigte Platz für draußen Wartende machen, der Tisch wird desinfizie­rt. Bisher gab es unter den Besuchern keine Corona-kranken.

Die Franziskus-stube trägt sich über Geld- und Sachspende­n sowie ehrenamtli­che Mitarbeit. „Auch ich mache das ehrenamtli­ch“, lacht die 74-Jährige. Sie ist Rentnerin und schmeißt die Stube in der Freizeit.

Davon profitiert auch Cristina, die sich sich in der Franziskus-stube wärmt. Die Italieneri­n freut sich, dass ihr Tag hier gut beginnt: „Es ist schön, dass Schwester Margret auch während Corona offen hat.“Ihre Bleibe hat sie schon öfter verloren. Derzeit hat sie eine Unterkunft, wie sie stolz berichtet. Cristina singt im Vesperkirc­henchor und stimmt – wie zum Beweis – leise die Puccini-arie „Nessun dorma“an. Sie singt auch auf der Straße und bastelt Weihnachts­sterne, die sie an Passanten gegen eine Spende abgibt. „Die Sterne bringen Glück“, sagt sie und lächelt.

Doch nicht immer herrscht in der Franziskus-stube Harmonie. Wer die Hausregeln verletzt, lernt die resolute Seite der Nonne kennen und muss gehen.

Derzeit blickt Schwester Margret mit Sorge auf die kalten Monate. „Wegen Corona könnte es eng werden in den Notunterkü­nften.“Die freien Träger suchten dringend Räume als Winterquar­tier oder zum Aufwärmen für Obdachlose.

Straßenzei­tungsverkä­ufer John hat zum Glück eine kleine Wohnung. Er gehört heute zu den späten Gästen. „Ich komme schon seit D-mark-zeiten“, sagt der Rentner. Ihm gefällt das Ambiente, es kämen Leute aller Bildungsgr­ade. Einst hat er Geowissens­chaften studiert, aber wegen psychische­r Probleme seinen Abschluss nicht gepackt. „Auch das Abitur ist kein Garantiesc­hein für ein glückliche­s Leben“, warnt er.

Friedrich weiß, wovon John spricht. Der Naturwisse­nschaftler hilft, die Tische abräumen. Wenigstens mit diesem kleinen Dienst möchte er etwas zurückgebe­n.

Wegen Corona könnte es in den Notunterkü­nften eng werden. Schwester Margret Ebe

Leiterin der Franziskus-stube

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John kommt schon seit D-mark-zeiten in die Franziskus-stube.

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