Sechsmal ohne Grund Notruf abgesetzt
Sechsmal ohne Grund einen Notruf abgesetzt: Junger Herbrechtinger erhält eine Bewährungsstrafe. Der reuige Täter leidet an einer angeborenen Persönlichkeitsstörung.
Ein junger Herbrechtinger kam beim Amtsgericht mit einer Bewährungsstrafe davon. Er leidet an einer Persönlichkeitsstörung.
Inwiefern ist ein Mensch, der zu 100 Prozent als schwerbehindert gilt und unter einer angeborenen organischen Persönlichkeitsstörung leidet, verantwortlich für sein Handeln? Mit dieser Frage hatte sich jüngst das Amtsgericht zu befassen.
Sechs Mal Notruf gewählt
Auf der Anklagebank in Heidenheim saß ein junger Mann aus Herbrechtingen, der im Sommer 2019 binnen elf Tagen sechsmal einen Notruf abgesetzt hatte. Er nutzte dafür eine Alarmierungs-app und die Personalien von Bekannten. „Ich bin in Gefahr, ich brauche dringend Hilfe!“, lautete eine der Nachrichten. Mehrfach gab er „Feuer/ Rauch“als Grund für den Notruf an, auch ein Überfall und ein medizinischer Notfall wurden genannt. Ein ums andere Mal rückten Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungssanitäter aus. Umsonst.
Saudummer „Scherz“oder Ausdruck einer schweren geistigen und seelischen Schieflage? Der Verteidiger des Angeklagten wollte keinen Vorschlag machen, wie diese Vorfälle strafrechtlich zu bewerten seien. Er bat indes um ein mildes Urteil: „Mein Mandant hat sich sicher strafbar gemacht. Er hätte es besser wissen müssen. Aber ich denke, er hat es zu diesem Zeitpunkt nicht besser wissen können.“
Diese Einschätzung untermauert die Urteilsbegründung des Landgerichts Ulm, das den Angeklagten im Jahr 2018 wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt hatte. Die Aussetzung der Gefängnisstrafe war mit einer „erheblich verminderten Schuldfähigkeit“begründet worden.
Einnahme von Medikamenten
Der Mann habe Probleme mit der „Affektregulation“und könne seine Bedürfnisse nur schwer aufschieben. Angeordnet wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus mit anschließender therapeutischer Begleitung und verpflichtender Einnahme von Medikamenten. „Doch diese therapeutische Anbindung hat zum Tatzeitpunkt nicht vorgelegen“, so der Pflichtverteidiger. „Ich würde dies als Ursache benennen und die Alarmierungen als Übergangshandlungen bezeichnen. Privater und beruflicher Stress haben Druck erzeugt. Damit kann mein Mandant nicht umgehen.“
Höflich und pünktlich
Zur Verhandlung waren keine Zeugen geladen worden. Dafür gab eine Bewährungshelferin Einblicke in das Leben des Herbrechtingers. Sie habe ihn als zuverlässig, höflich und pünktlich erlebt. Zu seiner Mutter habe er ein sehr gutes Verhältnis. Derzeit beziehe der Angeklagte Arbeitslosengeld. Er sei aber sehr darum bemüht, wieder einen Job zu finden. Auch die Bewährungshelferin nahm Bezug auf das Gutachten des Landgerichts Ulm. „Darin steht, dass auch in Zukunft mit vergleichbaren Straftaten zu rechnen ist ohne entsprechende Therapie und Medikation. Dem schließe ich mich an.“
Die Staatsanwaltschaft verwies darauf, dass ein einzelner Missbrauch
des Notrufs eigentlich mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe zwischen einem Monat und einem Jahr zu bestrafen ist. In diesem Fall seien sechs Notrufe innerhalb von elf Tagen abgesetzt worden. Davor und seitdem sei der Angeklagte aber nicht mehr auffällig geworden. Der Staatsanwalt plädierte auf vier Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung und wollte als Auflage eine Therapieweisung.
Ratschlag des Richters
Richter Eberhard Bergmeister schloss sich diesem Vorschlag an und verpflichtete den 28-Jährigen zusätzlich zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit: „Wenn jemand ohnehin nicht mit Druck umgehen kann, muss nicht auch noch Druck entgegengesetzt werden.“
Er riet dem Angeklagten, so wie in den vergangenen Monaten weiterzumachen, „denn das scheint gut funktioniert zu haben.“
Wichtig war es Richter Bergmeister, ein paar Worte zu den Notrufen zu sagen. Es komme nicht darauf an, dass Polizisten unnötig durch die Gegend fahren. Das sei zwar ärgerlich, komme aber immer mal vor. Vielmehr gehe es darum, dass Menschen, die tatsächlich Hilfe brauchen, deswegen vielleicht keine Hilfe bekommen, weil der Rettungswagen aufgrund eines falschen Alarms nicht mehr zur Verfügung stehe. „Im schlimmsten Fall stirbt womöglich jemand.“
Im schlimmsten Fall stirbt womöglich jemand. Eberhard Bergmeister,
Reuiger Angeklagter
Der reuige Angeklagte hatte sich schon zu Beginn der Verhandlung geständig gezeigt und für sein Verhalten entschuldigt: „Es tut mir schrecklich leid. Wenn ich könnte, würde ich das alles rückgängig machen.“