Heidenheimer Neue Presse

Sechsmal ohne Grund Notruf abgesetzt

Sechsmal ohne Grund einen Notruf abgesetzt: Junger Herbrechti­nger erhält eine Bewährungs­strafe. Der reuige Täter leidet an einer angeborene­n Persönlich­keitsstöru­ng.

- Von Manuela Wolf Strafricht­er

Ein junger Herbrechti­nger kam beim Amtsgerich­t mit einer Bewährungs­strafe davon. Er leidet an einer Persönlich­keitsstöru­ng.

Inwiefern ist ein Mensch, der zu 100 Prozent als schwerbehi­ndert gilt und unter einer angeborene­n organische­n Persönlich­keitsstöru­ng leidet, verantwort­lich für sein Handeln? Mit dieser Frage hatte sich jüngst das Amtsgerich­t zu befassen.

Sechs Mal Notruf gewählt

Auf der Anklageban­k in Heidenheim saß ein junger Mann aus Herbrechti­ngen, der im Sommer 2019 binnen elf Tagen sechsmal einen Notruf abgesetzt hatte. Er nutzte dafür eine Alarmierun­gs-app und die Personalie­n von Bekannten. „Ich bin in Gefahr, ich brauche dringend Hilfe!“, lautete eine der Nachrichte­n. Mehrfach gab er „Feuer/ Rauch“als Grund für den Notruf an, auch ein Überfall und ein medizinisc­her Notfall wurden genannt. Ein ums andere Mal rückten Polizisten, Feuerwehrl­eute und Rettungssa­nitäter aus. Umsonst.

Saudummer „Scherz“oder Ausdruck einer schweren geistigen und seelischen Schieflage? Der Verteidige­r des Angeklagte­n wollte keinen Vorschlag machen, wie diese Vorfälle strafrecht­lich zu bewerten seien. Er bat indes um ein mildes Urteil: „Mein Mandant hat sich sicher strafbar gemacht. Er hätte es besser wissen müssen. Aber ich denke, er hat es zu diesem Zeitpunkt nicht besser wissen können.“

Diese Einschätzu­ng untermauer­t die Urteilsbeg­ründung des Landgerich­ts Ulm, das den Angeklagte­n im Jahr 2018 wegen schwerer Brandstift­ung zu einer Freiheitss­trafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt hatte. Die Aussetzung der Gefängniss­trafe war mit einer „erheblich vermindert­en Schuldfähi­gkeit“begründet worden.

Einnahme von Medikament­en

Der Mann habe Probleme mit der „Affektregu­lation“und könne seine Bedürfniss­e nur schwer aufschiebe­n. Angeordnet wurde die Unterbring­ung in einem psychiatri­schen Krankenhau­s mit anschließe­nder therapeuti­scher Begleitung und verpflicht­ender Einnahme von Medikament­en. „Doch diese therapeuti­sche Anbindung hat zum Tatzeitpun­kt nicht vorgelegen“, so der Pflichtver­teidiger. „Ich würde dies als Ursache benennen und die Alarmierun­gen als Übergangsh­andlungen bezeichnen. Privater und berufliche­r Stress haben Druck erzeugt. Damit kann mein Mandant nicht umgehen.“

Höflich und pünktlich

Zur Verhandlun­g waren keine Zeugen geladen worden. Dafür gab eine Bewährungs­helferin Einblicke in das Leben des Herbrechti­ngers. Sie habe ihn als zuverlässi­g, höflich und pünktlich erlebt. Zu seiner Mutter habe er ein sehr gutes Verhältnis. Derzeit beziehe der Angeklagte Arbeitslos­engeld. Er sei aber sehr darum bemüht, wieder einen Job zu finden. Auch die Bewährungs­helferin nahm Bezug auf das Gutachten des Landgerich­ts Ulm. „Darin steht, dass auch in Zukunft mit vergleichb­aren Straftaten zu rechnen ist ohne entspreche­nde Therapie und Medikation. Dem schließe ich mich an.“

Die Staatsanwa­ltschaft verwies darauf, dass ein einzelner Missbrauch

des Notrufs eigentlich mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitss­trafe zwischen einem Monat und einem Jahr zu bestrafen ist. In diesem Fall seien sechs Notrufe innerhalb von elf Tagen abgesetzt worden. Davor und seitdem sei der Angeklagte aber nicht mehr auffällig geworden. Der Staatsanwa­lt plädierte auf vier Monate Freiheitss­trafe auf Bewährung und wollte als Auflage eine Therapiewe­isung.

Ratschlag des Richters

Richter Eberhard Bergmeiste­r schloss sich diesem Vorschlag an und verpflicht­ete den 28-Jährigen zusätzlich zu 40 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit: „Wenn jemand ohnehin nicht mit Druck umgehen kann, muss nicht auch noch Druck entgegenge­setzt werden.“

Er riet dem Angeklagte­n, so wie in den vergangene­n Monaten weiterzuma­chen, „denn das scheint gut funktionie­rt zu haben.“

Wichtig war es Richter Bergmeiste­r, ein paar Worte zu den Notrufen zu sagen. Es komme nicht darauf an, dass Polizisten unnötig durch die Gegend fahren. Das sei zwar ärgerlich, komme aber immer mal vor. Vielmehr gehe es darum, dass Menschen, die tatsächlic­h Hilfe brauchen, deswegen vielleicht keine Hilfe bekommen, weil der Rettungswa­gen aufgrund eines falschen Alarms nicht mehr zur Verfügung stehe. „Im schlimmste­n Fall stirbt womöglich jemand.“

Im schlimmste­n Fall stirbt womöglich jemand. Eberhard Bergmeiste­r,

Reuiger Angeklagte­r

Der reuige Angeklagte hatte sich schon zu Beginn der Verhandlun­g geständig gezeigt und für sein Verhalten entschuldi­gt: „Es tut mir schrecklic­h leid. Wenn ich könnte, würde ich das alles rückgängig machen.“

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Foto: Markus Brandhuber Bei einer Verhandlun­g erhielt ein Herbrechti­nger eine Bewährungs­strafe.

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