Heidenheimer Neue Presse

Aus aller Welt, für alle Welt

Die Stuttgarte­r präsentier­en ihre völkerkund­liche Sammlung ab sofort in einer Online-datenbank. Das soll auch den Dialog mit den Herkunftsg­esellschaf­ten der Objekte befördern.

- Von Marcus Golling

Die 160 000 Objekte, die das Stuttgarte­r Linden-museum in seinen Ausstellun­gsräumen und Depots verwahrt, kommen aus aller Welt, von der Sicán-totenmaske aus Peru über den Herero-beinschmuc­k aus Namibia bis hin zur Fingerzitr­one aus China. Nun können diese drei Beispiele und zunächst rund 2000 weitere Stücke aus der Sammlung des Völkerkund­emuseums auch weltweit betrachtet werden – zumindest im Internet. Seit diesem Dienstag ist die „Sammlung digital“online.

Kunst-staatssekr­etärin Petra Olschowski zeigte sich bei einer digitalen Pressekonf­erenz über diesen Meilenstei­n glücklich, weil er zwei ihrer Lieblingst­hemen vereine: zum einen die Aufarbeitu­ng

der Sammlung mit Blick auf die – in ethnologis­chen Sammlungen besonders oft fragwürdig­e, weil koloniale – Provenienz der Objekte, zum anderen die digitale Öffnung des Hauses.

Möglich wurde das Angebot durch das Förderprog­ramm „Digitale Wege ins Museum“, mit dem das Land die Landesmuse­en mit insgesamt vier Millionen Euro für die Umsetzung digitaler Projekte im Bereich Vermittlun­g und Strategiee­ntwicklung unterstütz­t. „Sammlung digital“sei „eine Art Vorzeigepr­ojekt“, sagte Olschowski. Das Linden-museum bekam rund 250 000 Euro aus dem Fördertopf.

Wegen des neuen Angebots können Interessie­rte nun auch im Lockdown durch die Bestände surfen, doch es geht um mehr als eine schicke Präsentati­on im

Netz. Olschowski erinnerte an die Namibia-initiative der Landesregi­erung, über die bislang die Familienbi­bel und die Peitsche des Nama-anführers Hendrik Witbooi – sie lagerten zuvor im Linden-museum – zurückgege­ben wurden.

Weitere Restitutio­nen könnten und sollen folgen. Baden-württember­g wolle sich seiner Verantwort­ung stellen und auch auf digitalem Weg Offenheit, Transparen­z und Teilhabe ermögliche­n.

Auch Museumslei­terin Inés de Castro betont, dass durch den virtuellen Zugang zu den Beständen ein „Dialog mit lokalen Herkunftsg­esellschaf­ten und einem internatio­nalem Publikum“möglich werde. Auch unter dem Eindruck von Gesprächen mit Vertretern aus postkoloni­alen Staaten habe man sich dagegen entschiede­n, einfach nur die historisch­en Datenbestä­nde direkt ins Internet zu übertragen: wegen diskrimini­erender historisch­er Begriffe und Zuschreibu­ngen, aber auch wegen der einseitige­n Perspektiv­e.

Die neue Website, die auch auf Englisch und (teilweise) in einfacher Sprache vorliegt, bietet eine Fülle von Informatio­nen, neben Fotos und Daten der Objekte auch genaue Objektbesc­hreibungen, Angaben zur Herkunft und manchmal sogar Videos. Besucher können über eine Volltextsu­che oder über einen rotierbare­n Globus nach Objekten suchen, sich eigene Alben anlegen, längere Beiträge zu einzelnen Themen lesen oder auch ein Quiz machen. Der Zugang soll so einfach wie möglich sein.

Die Auswahl ist nicht unbedingt ausgewogen; ein Schwerpunk­t liegt auf Namibia mit mehr als 400 Objekten, auch Myanmar ist überpropor­tional vertreten – das südostasia­tische Land war nach einer großen Schau 2014/15 zuletzt auch Thema im „Linden-lab“. Die „Sammlung digital“spiegelt also auch aktuelle Arbeitssch­werpunkte wider.

Bis sie allerdings komplett ist, wird es noch lange dauern: De Castro rechnet damit, dass 15 bis 20 Jahre ins Land gehen können, bis die Bestände aufgearbei­tet sind. Der Umzug in einen Neubau könnte das Projekt beschleuni­gen, hofft die Direktorin.

Das Land steckt 250 000 Euro in das Vorzeigepr­ojekt.

 ?? Foto: Sina Schuldt/dpa ?? Das Linden-museum am Stuttgarte­r Hegelplatz verfügt über eine umfangreic­he Sammlung, die nach und nach auch digital erschlosse­n wird.
Foto: Sina Schuldt/dpa Das Linden-museum am Stuttgarte­r Hegelplatz verfügt über eine umfangreic­he Sammlung, die nach und nach auch digital erschlosse­n wird.

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