Aus aller Welt, für alle Welt
Die Stuttgarter präsentieren ihre völkerkundliche Sammlung ab sofort in einer Online-datenbank. Das soll auch den Dialog mit den Herkunftsgesellschaften der Objekte befördern.
Die 160 000 Objekte, die das Stuttgarter Linden-museum in seinen Ausstellungsräumen und Depots verwahrt, kommen aus aller Welt, von der Sicán-totenmaske aus Peru über den Herero-beinschmuck aus Namibia bis hin zur Fingerzitrone aus China. Nun können diese drei Beispiele und zunächst rund 2000 weitere Stücke aus der Sammlung des Völkerkundemuseums auch weltweit betrachtet werden – zumindest im Internet. Seit diesem Dienstag ist die „Sammlung digital“online.
Kunst-staatssekretärin Petra Olschowski zeigte sich bei einer digitalen Pressekonferenz über diesen Meilenstein glücklich, weil er zwei ihrer Lieblingsthemen vereine: zum einen die Aufarbeitung
der Sammlung mit Blick auf die – in ethnologischen Sammlungen besonders oft fragwürdige, weil koloniale – Provenienz der Objekte, zum anderen die digitale Öffnung des Hauses.
Möglich wurde das Angebot durch das Förderprogramm „Digitale Wege ins Museum“, mit dem das Land die Landesmuseen mit insgesamt vier Millionen Euro für die Umsetzung digitaler Projekte im Bereich Vermittlung und Strategieentwicklung unterstützt. „Sammlung digital“sei „eine Art Vorzeigeprojekt“, sagte Olschowski. Das Linden-museum bekam rund 250 000 Euro aus dem Fördertopf.
Wegen des neuen Angebots können Interessierte nun auch im Lockdown durch die Bestände surfen, doch es geht um mehr als eine schicke Präsentation im
Netz. Olschowski erinnerte an die Namibia-initiative der Landesregierung, über die bislang die Familienbibel und die Peitsche des Nama-anführers Hendrik Witbooi – sie lagerten zuvor im Linden-museum – zurückgegeben wurden.
Weitere Restitutionen könnten und sollen folgen. Baden-württemberg wolle sich seiner Verantwortung stellen und auch auf digitalem Weg Offenheit, Transparenz und Teilhabe ermöglichen.
Auch Museumsleiterin Inés de Castro betont, dass durch den virtuellen Zugang zu den Beständen ein „Dialog mit lokalen Herkunftsgesellschaften und einem internationalem Publikum“möglich werde. Auch unter dem Eindruck von Gesprächen mit Vertretern aus postkolonialen Staaten habe man sich dagegen entschieden, einfach nur die historischen Datenbestände direkt ins Internet zu übertragen: wegen diskriminierender historischer Begriffe und Zuschreibungen, aber auch wegen der einseitigen Perspektive.
Die neue Website, die auch auf Englisch und (teilweise) in einfacher Sprache vorliegt, bietet eine Fülle von Informationen, neben Fotos und Daten der Objekte auch genaue Objektbeschreibungen, Angaben zur Herkunft und manchmal sogar Videos. Besucher können über eine Volltextsuche oder über einen rotierbaren Globus nach Objekten suchen, sich eigene Alben anlegen, längere Beiträge zu einzelnen Themen lesen oder auch ein Quiz machen. Der Zugang soll so einfach wie möglich sein.
Die Auswahl ist nicht unbedingt ausgewogen; ein Schwerpunkt liegt auf Namibia mit mehr als 400 Objekten, auch Myanmar ist überproportional vertreten – das südostasiatische Land war nach einer großen Schau 2014/15 zuletzt auch Thema im „Linden-lab“. Die „Sammlung digital“spiegelt also auch aktuelle Arbeitsschwerpunkte wider.
Bis sie allerdings komplett ist, wird es noch lange dauern: De Castro rechnet damit, dass 15 bis 20 Jahre ins Land gehen können, bis die Bestände aufgearbeitet sind. Der Umzug in einen Neubau könnte das Projekt beschleunigen, hofft die Direktorin.
Das Land steckt 250 000 Euro in das Vorzeigeprojekt.