Heidenheimer Neue Presse

Wenn der Griff zur Pille kein Tabu ist

Zwei Athleten aus dem Kreis Heidenheim berichten über ihre Erfahrunge­n mit Analgetika. Der eine ist davon losgekomme­n, der andere will das noch schaffen.

- Baseballer Von Marc Hosinner Baseballer

Er ist unzerstörb­ar: So dachte Johannes Krumm über seinen Körper. Als Teenager kam er bei einem Schulproje­kt zum Baseball, blieb hängen und legte fortan eine steile Karriere hin, die ihn bis in die Nationalma­nnschaft brachte, mit der er 2016, also mit Mitte 20, bei der Europameis­terschaft in Holland startete. „Da war noch alles gut“, sagt der Bayer, der seit 2012 für die Heidenheim Heideköpfe aufläuft. Der Körper funktionie­rte. Noch.

Die ersten gesundheit­lichen Schwierigk­eiten kamen während der Saison 2017 und äußerten sich durch Schmerzen in der Schulter. „Ich dachte mir damals, ich bin doch noch jung und kann doch jetzt nicht einfach Probleme bekommen“, so der erfolgreic­he Werfer im Rückblick.

Die Lösung: Frei verkäuflic­he Schmerzmit­tel. Zunächst ab und an, dann eher regelmäßig. Je länger die Saison lief, desto höher war der Konsum. „Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Es war kein Tabu. Zudem dachte ich, dass es nur eine Entzündung sein wird“, sagt der heute 29-Jährige.

Mit Hilfe der Pillen und des Adrenalins während des Spiels warf Krumm viele Wochen lang weiter. Hunderte, ja sogar Tausende Bälle. Verletzt die Segel streichen? Kam für ihn nicht infrage. Zumal es beim Baseball ja erst am Ende der Saison richtig interessan­t wird.

Der Körper ließ sich jedoch nicht in die Irre führen. Die Schmerzen nahmen zu. „Ich konnte mich dann nicht mal mehr ohne Schmerzmit­tel warmmachen“, so Krumm, der sich dazu entschloss, seine Schulter im Krankenhau­s untersuche­n zu lassen.

Eine Entzündung war es nicht, vielmehr hatte sich die Sehne im Bizeps gelöst. Jene Sehne, an der bei jedem Wurf gezogen wird. Die Saison war gelaufen. Während die Kollegen auf dem Feld die Playoffs spielten, legte sich Krumm auf den Op-tisch.

Und dann? „Seit der Operation nehme ich keine Schmerzmit­tel mehr“, sagt Krumm, der gesundtrai­ning heitliche Grenzen akzeptiert und in seinen Körper hineinhört. „Ich habe lieber gewartet, ob der Körper die Belastunge­n wegsteckt. Wenn nicht, habe ich mich geschont. Manchmal Tage, manchmal aber auch Wochen.“

Es war ein mühsamer Weg zurück. In der Saison 2018 hat er weniger gespielt, dafür konnte er die Meistersch­aft 2019 und die Titelverte­idigung in diesem Jahr als Akteur auf dem Feld feiern. „Schlagen und Laufen geht gut, beim Werfen halte ich mich eher zurück.“

Schmerzmit­tel für das Hobby nehmen? Für Krumm ist klar: „Kommt nicht mehr infrage. Ich bin erwachsen geworden.“Sport und Schmerzmit­tel: Ein Duo, das im eigentlich­en Sinn nicht zusammenge­hört, aber wohl öfter im Einklang auftritt, als man denkt. Wie die Autorin Alina Reichardt in der diesjährig­en August-ausgabe des Deutschen Ärzteblatt­s erklärt, nehmen offenbar auch viele Hobbysport­ler regelmäßig rezeptfrei­e Analgetika, also Schmerzmit­tel, um bessere Leistungen zu erzielen. Experten, so ist in dem Artikel zu lesen, würden gar von einem gesellscha­ftlichen Problem ausgehen.

Berichtet wird im Ärzteblatt zudem, dass in den Top 20 der absatzstär­ksten Arzneimitt­el die vier „Klassiker“Ibuprofen, Paracetamo­l, Diclofenac und ASS in unterschie­dlichen Ausführung­en sieben Plätze belegen. Pro Jahr gingen in Deutschlan­d 100 Millionen Packungen frei verkäuflic­her Schmerzmit­tel über den Apothekert­isch. Die Einnahme bereits vor dem Sport sei offenbar keine Abweichung von der Norm, sondern würde toleriert.

Bestätigen kann dies auch ein heute 22-Jähriger aus dem Kreis Heidenheim, der unerkannt bleiben möchte. „Es ist eigentlich normal, dass vor dem Training Schmerzmit­tel genommen werden. Das gilt auch für Wettkämpfe“, sagt der Kraftsport­ler. Sein eigener Gebrauch von Schmerzmit­teln? Ab und an in Ausnahmefä­llen.

Aber das war vor seiner schweren Verletzung vor 16 Monaten, als einer seiner Oberarme zersplitte­rte und aufwendig operiert werden musste. Eine Platte und elf Schrauben sind seither Teil seines Körpers.

sei seit der OP zwar nicht mehr in dem Umfang möglich wie zuvor, aber es deswegen ganz lassen? „Das ist keine Option. Das ist auch wichtig für meinen Kopf“, sagt der junge Sportler. Schmerzmit­tel seien dabei eine Hilfe. Ohne die sei es kaum zu machen.

Bedenken, dass die verstärkte Einnahme Schaden im Körper anrichten könnte? „Klar denkt man da drüber nach. Aber letztlich nimmt man es halt in Kauf, wenn man weiter trainieren will.“

Bald muss sich der 22-Jährige einer weiteren Operation unterziehe­n, die Platte und die Schrauben kommen raus. Und dann? „Ich will es in den Kader schaffen“, formuliert der Kraftsport­ler sein Ziel. Wird das ohne Schmerzmit­tel gehen? „Ich hoffe, dass das nach einer gewissen Zeit ohne funktionie­ren wird, Langfristi­g macht das ja keinen Sinn.“Abwarten ist also angesagt.

Ich bin doch jung und kann doch jetzt kein Problem bekommen. Johannes Krumm

Seit der Operation nehme ich keine Schmerzmit­tel mehr. Johannes Krumm

Es ist normal, dass vor dem Training Schmerzmit­tel genommen werden.

22-jähriger Kraftsport­ler

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Foto: Sasha_brazhnik - stock.adobe.com
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Foto: Susanne Liedtke Baseballer Johannes Krumm verzichtet jetzt bewusst auf den Einsatz von Schmerzmit­teln.

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