Heidenheimer Neue Presse

Von wegen letzte Hürde

In zehn Jahren soll jeder Grundschül­er bundesweit den Anspruch auf einen Ganztags-betreuungs­platz haben. Doch in Baden-württember­g ist noch vieles unklar.

- Von Axel Habermehl

Bis 2029 soll jeder Grundschül­er in Deutschlan­d einen einklagbar­en Platz an einer Ganztagssc­hule oder Nachmittag­sbetreuung haben. Das hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) nach einer Besprechun­g mit den Ministerpr­äsidenten der Bundesländ­er angekündig­t. Man habe beim Thema „Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung“, das sich CDU und SPD im Koalitions­vertrag vorgenomme­n haben, „in den vergangene­n Monaten beträchtli­che Fortschrit­te erzielt“.

So sei klar, in welchem Mechanismu­s ein solcher Rechtsansp­ruch umgesetzt werden würde: nämlich stufenweis­e von 2025 an. Bis 2029 solle der Anspruch dann jahrgangsw­eise „aufwachsen­d“umgesetzt werden.

Jedoch sei man bei der Finanzieru­ng noch nicht ganz einig, schränkte Merkel ein. Das solle nun eine Arbeitsgru­ppe klären. Sie sei aber „hoffnungsv­oll, dass wir auch noch die letzte Hürde nehmen können“.

Auszahlung­ssperre an alle?

Die letzte Hürde? Blickt man auf die verfahrene Lage in Badenwürtt­emberg und die Auseinande­rsetzungen, die hier zu dem Thema laufen, ist das eine erstaunlic­he Metapher. Denn die Landesregi­erung ist drauf und dran, eine Bundesförd­erung für alle Länder zu blockieren.

3,5 Milliarden Euro sollen die Länder erhalten, um Schulen und Horte auszubauen sowie zusätzlich­es Personal anzuwerben. Doch das Geld kann nicht fließen.

Grün-schwarz sieht sich als einzige Landesregi­erung außerstand­e, die hiesigen Betreuungs­angebote regulatori­sch so zu formatiere­n, dass sie der Bund als förderfähi­g akzeptiert.

Daher weigert sich Stuttgart, eine von Bund und Ländern ausgehande­lte Verwaltung­svereinbar­ung zu unterschre­iben – und sperrt die Auszahlung an alle.

Seit Monaten schreiben sich die zuständige­n Fachminist­erinnen aus Bund und Land Briefe. Darin erläutert Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) die Spezialitä­ten hiesiger Betreuungs­angebote, die vereinfach­t gesagt darin bestehen, dass es hier kaum „echte“Ganztagssc­hulen gibt, dafür aber viele kommunale Betreuungs­einrichtun­gen, die keine Betriebser­laubnis nach dem Sozialgese­tzbuch haben.

Die Bundesmini­sterinnen für Familie, Franziska Giffey (SPD), und Bildung, Anja Karliczek (CDU), antworten stets höflich, aber in der Sache hart. So hart, dass sich Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) genötigt sah, einzuschre­iten. Das Land sei an der Aushandlun­g der Verwaltung­svereinbar­ung nicht beteiligt gewesen, schrieb er Merkel und bat die „liebe Angela“, das Bundesfami­lienminist­erin solle nochmal mit seinem Kultusmini­sterium

„Gespräche und Verhandlun­gen“aufnehmen.

Ohne Erfolg. Merkel antwortete dem „lieben Winfried“, die Vereinbaru­ng sei schon in Ordnung und sehe ja auch eine großzügige Frist für nötige Änderungen vor. Alle anderen Länder hätten unterschri­eben. „Ich möchte Sie daher darum bitten, sich der im Länderkrei­s getroffene­n Vereinbaru­ng anzuschlie­ßen.“

Dass das Papier neu verhandelt wird, glaubt auch in Stuttgart kaum noch einer. Grün-schwarz dürfte also kaum darum herumkomme­n, die kommunalen Angebote unter Schulaufsi­cht zu stellen oder sie zu zwingen, förmliche Betriebser­laubnisse zu erwirken. Ein heißes Eisen, denn es geht um die Frage, wie stark der Bund über finanziell­en Druck in Länder und deren Zuständigk­eiten hineinregi­eren soll.

Kretschman­n redete sich neulich in Rage. „Es ist immer dasselbe. Jedes dieser Programme verursacht nur Stress“, polterte er. „Der Bund legt Programme auf, um irgendwas bei den Ländern zu finanziere­n, für das er nicht zuständig ist.“Dann mache Berlin Vorgaben und versuche, den Länder Dinge zu diktieren.

Doch das ist nicht alles. Das Thema legt grundsätzl­iche Unterschie­de in der Familienpo­litik offen. Vor allem für die Landescdu sind kommunale Angebote und deren „Flexibilit­ät“gegenüber Betreuungs­wünschen von Eltern heilig. Die Grünen dagegen plädieren für grundsätzl­ich mehr Betreuung, um Eltern die Vereinbark­eit von Familie und Job zu erleichter­n und Kinder aus sozial schwachen Familien früher zu fördern. Das Thema könnte zum Wahlkampfs­chlager taugen – ob man sich nun einigt oder nicht.

 ??  ?? Über die Betreuung von Schülern – hier ein Lernzimmer in einer Ganztagssc­hule – wird viel
gestritten.
Über die Betreuung von Schülern – hier ein Lernzimmer in einer Ganztagssc­hule – wird viel gestritten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany