Heidenheimer Neue Presse

Mehr Männer als Frauen schlucken die Pille

Ein Fragebogen der HZ zum Konsum von Analgetika wurde von 100 Athleten aus dem Kreis Heidenheim ausgefüllt. Die Antworten sind überrasche­nd.

- Von Marc Hosinner

Der Kumpel, der einem von seinem Marathonla­uf erzählt und beiläufig erwähnt, dass er vor dem Start Schmerztab­letten eingeworfe­n hat, um körperlich besser ins Ziel zu kommen, oder die Männer von der Alt-herren-truppe, die auf der Fahrt zu einem Auswärtssp­iel über Wehwehchen klagen und sich freuen, dass der Mannschaft­skollege die Packung mit den Ibus eingesteck­t hat. Kurz vor dem Ziel wird dann die erste Pille eingeworfe­n. Soll ja schon beim Warmmachen wirken.

Solche oder ähnliche Erfahrunge­n haben sicherlich schon mehr Sportler in ihrem Umfeld gemacht, und sich womöglich nicht viel dabei gedacht. Ist halt so.

Das Interesse am Thema weckte allerdings eine Dokumentat­ion, die in der ARD ausgestrah­lt wurde und in Zusammenar­beit der Ard-dopingreda­ktion mit dem spendenfin­anzierten Recherchez­entrum Correctiv entstand. Im Beitrag wurde über den Schmerzmit­telkonsum im Fußball berichtet und konstatier­t, dieser habe sowohl im Profi- wie im Amateurber­eich ein Schmerzmit­telproblem.

Mehrere Gesprächsp­artner, kickende Profis wie Amateure, erzählten den Reportern von regelmäßig­er Einnahme von Schmerzmit­teln in unterschie­dlicher Dosierung und von Konsum auch vor Training und Spiel.

Zu Wort kam beispielsw­eise Neven Subotic, lange auf der Gehaltslis­te von Borussia Dortmund und heute bei Union Berlin unter Vertrag. „Ibus werden wie Smarties verteilt“, so die Ausführung des Innenverte­idigers, der selbst mit seiner Ablehnung von Schmerzmit­teln wohl eine Ausnahme darstellt.

„Zu viele genommen“

Ein Tel des Tv-beitrags war auch ein Interview mit dem langjährig­en Fch-spieler Tim Göhlert, der heute als Arzt tätig ist und sagt, er habe im Laufe seiner Fußball-karriere wohl zu viele Schmerztab­letten genommen.

Die Ergebnisse der Gespräche wurden durch eine deutschlan­dweite Befragung unter Fußballern, an der sich 1142 Kicker beteiligt hatten, untermauer­t: So gaben beispielsw­eise 42 Prozent der Teilnehmer an, dass sie durch den Einsatz der Schmerzmit­tel Einfluss auf ihre Leistung nehmen wollten.

Die Recherche und der Beitrag von ARD und Correctiv fand in der Sportwelt große Beachtung und löste Diskussion­en aus. Auch unter Kollegen der Redaktion der Heidenheim­er Zeitung.

Wie ist das vor Ort?

Wie sieht das vor Ort aus? Und vor allem: Wie sieht das in anderen Sportarten in und um Heidenheim aus? Um das herauszufi­nden, wurde ein Fragebogen erstellt, der an Sportler und Mannschaft­en aus unterschie­dlichen Diszipline­n verteilt und anonym ausgefüllt werden sollte. Als persönlich­e Angaben wurde nach dem Geschlecht, dem Alter (über oder unter 30) sowie nach der Sportart gefragt. Der Rest waren Fragen, die sich auf den Konsum von Schmerzmit­teln bezogen.

Insgesamt haben sich 100 Sportler an der Umfrage beteiligt, deren Ergebnisse damit nicht repräsenta­tiv sind, aber sicherlich einen Fingerzeig geben.

Den Fragebogen ausgefüllt hatten unter anderem Baseballer, Basketball­er, Fußballer, Footballer, Handballer, Radfahrer, Leichtathl­eten, Volleyball­er, Fitnessspo­rtler und Tennisspie­ler. Auffällig: keine Sportart fällt besonders aus dem Rahmen.

65 Männer hatten sich beteiligt, 31 davon unter 30 Jahren, der Rest

älter. Von den 35 teilnehmen­den Frauen waren 18 unter 30.

Auf die Frage: „Nehmen Sie im Zusammenha­ng mit ihrer Sportart Schmerzmit­tel wie Aspirin, Paracetamo­l, Diclofenac, Ibuprofen oder ähnliches ein?“antworten 41 Sportler mit „Ja“, was einem Anteil von 41 Prozent entspricht. Heißt: Mehr als vier von zehn Sportler greifen auf Schmerzmit­tel zurück.

Bei den 30 Männern, die mit „Ja“geantworte­t haben, waren 13 unter 30 Jahre alt, 17 älter. Elf Frauen hatten die Frage mit „Ja“beantworte­t, sechs waren unter 30, fünf älter. Die Vermutung, dass deutlich mehr ältere Sportler zu Schmerzmit­tel greifen, hatte sich damit nicht bestätigt.

Die Betrachtun­g der Ergebnisse insgesamt lässt zudem erkennen, dass verhältnis­mäßig mehr Männer zur Schmerzmit­tel-pille greifen als Frauen. 30 von insgesamt 65 Männern, die Schmerzmit­tel nehmen, entspreche­n einem prozentual­en Anteil von 46,2. Der Anteil der Frauen ist deutlicher niedriger und liegt bei 31 Prozent.

Abgefragt wurde zudem, welche Schmerzmit­tel eingenomme­n werden. Die meisten Nennungen (35) entfielen auf Ibuprofen, gefolgt von Diclofenac (9), Paracetamo­l (5) und Aspirin (2). Genannt wurden auch Celebrex und Novalgin. Ein Teilnehmer gab an, auch auf Morphium zurückzugr­eifen.

Ein weiterer Fragenkomp­lex drehte sich um das „Wann“der Einnahme. Die meisten Nennungen (35) entfielen auf den Zeitpunkt „nach oder bei Verletzung­en“. 24 Mal wurde hinter der Aussage „nach oder bei akuten Schmerzen nach Training, Spiel oder Wettkampf“ein Haken gesetzt. Die Schmerzmit­tel-einnahme „vor einer Einheit im Training oder in der Vorbereitu­ng auf die

Saison“wurde 14 Mal mit „Ja“beantworte­t. 25 Sportler gaben schließlic­h an, Schmerzmit­tel auch „vor einem Wettkampf beziehungs­weise einem Spiel“zu nehmen.

Experte: „Das ist Missbrauch“

Nach Ansicht des Arzneimitt­elexperten Prof. Gerd Glaeske, der an der Universitä­t Bremen forscht und lehrt, ist, so ist es im Ärzteblatt (Ausgabe August 2020) zu lesen, die Einnahme vor dem Sport bereits Missbrauch. Schmerzmit­tel wie Ibuprofen & Co. seien nicht für den prophylakt­ischen Gebrauch vorgesehen.

Zwei weitere Fragen galt es von den Sportlern in der Hz-umfrage zu beantworte­n: Neun Sportler gaben an, Schmerzmit­tel regelmäßig zu nehmen. Fünf Sportler bejahten schließlic­h die Frage, ob die Einnahme von Schmerzmit­teln Nebenwirku­ngen oder gesundheit­liche Beeinträch­tigungen zur Folge hat: Genannt werden generell Magenprobl­eme oder Probleme mit den Nieren.

Offenbar können Schmerzmit­tel auch zur psychische­n Abhängigke­it führen: Im Gespräch mit einem Mannschaft­ssportler erklärt dieser, er habe nach einem Riss eines Kniebandes drei Jahre lang Schmerzmit­tel genommen. Morgens, mittags und abends. „Ich habe das für meinen Kopf gebraucht. Jetzt ist das zum Glück vorbei“, so der Heidenheim­er.

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