Mehr Männer als Frauen schlucken die Pille
Ein Fragebogen der HZ zum Konsum von Analgetika wurde von 100 Athleten aus dem Kreis Heidenheim ausgefüllt. Die Antworten sind überraschend.
Der Kumpel, der einem von seinem Marathonlauf erzählt und beiläufig erwähnt, dass er vor dem Start Schmerztabletten eingeworfen hat, um körperlich besser ins Ziel zu kommen, oder die Männer von der Alt-herren-truppe, die auf der Fahrt zu einem Auswärtsspiel über Wehwehchen klagen und sich freuen, dass der Mannschaftskollege die Packung mit den Ibus eingesteckt hat. Kurz vor dem Ziel wird dann die erste Pille eingeworfen. Soll ja schon beim Warmmachen wirken.
Solche oder ähnliche Erfahrungen haben sicherlich schon mehr Sportler in ihrem Umfeld gemacht, und sich womöglich nicht viel dabei gedacht. Ist halt so.
Das Interesse am Thema weckte allerdings eine Dokumentation, die in der ARD ausgestrahlt wurde und in Zusammenarbeit der Ard-dopingredaktion mit dem spendenfinanzierten Recherchezentrum Correctiv entstand. Im Beitrag wurde über den Schmerzmittelkonsum im Fußball berichtet und konstatiert, dieser habe sowohl im Profi- wie im Amateurbereich ein Schmerzmittelproblem.
Mehrere Gesprächspartner, kickende Profis wie Amateure, erzählten den Reportern von regelmäßiger Einnahme von Schmerzmitteln in unterschiedlicher Dosierung und von Konsum auch vor Training und Spiel.
Zu Wort kam beispielsweise Neven Subotic, lange auf der Gehaltsliste von Borussia Dortmund und heute bei Union Berlin unter Vertrag. „Ibus werden wie Smarties verteilt“, so die Ausführung des Innenverteidigers, der selbst mit seiner Ablehnung von Schmerzmitteln wohl eine Ausnahme darstellt.
„Zu viele genommen“
Ein Tel des Tv-beitrags war auch ein Interview mit dem langjährigen Fch-spieler Tim Göhlert, der heute als Arzt tätig ist und sagt, er habe im Laufe seiner Fußball-karriere wohl zu viele Schmerztabletten genommen.
Die Ergebnisse der Gespräche wurden durch eine deutschlandweite Befragung unter Fußballern, an der sich 1142 Kicker beteiligt hatten, untermauert: So gaben beispielsweise 42 Prozent der Teilnehmer an, dass sie durch den Einsatz der Schmerzmittel Einfluss auf ihre Leistung nehmen wollten.
Die Recherche und der Beitrag von ARD und Correctiv fand in der Sportwelt große Beachtung und löste Diskussionen aus. Auch unter Kollegen der Redaktion der Heidenheimer Zeitung.
Wie ist das vor Ort?
Wie sieht das vor Ort aus? Und vor allem: Wie sieht das in anderen Sportarten in und um Heidenheim aus? Um das herauszufinden, wurde ein Fragebogen erstellt, der an Sportler und Mannschaften aus unterschiedlichen Disziplinen verteilt und anonym ausgefüllt werden sollte. Als persönliche Angaben wurde nach dem Geschlecht, dem Alter (über oder unter 30) sowie nach der Sportart gefragt. Der Rest waren Fragen, die sich auf den Konsum von Schmerzmitteln bezogen.
Insgesamt haben sich 100 Sportler an der Umfrage beteiligt, deren Ergebnisse damit nicht repräsentativ sind, aber sicherlich einen Fingerzeig geben.
Den Fragebogen ausgefüllt hatten unter anderem Baseballer, Basketballer, Fußballer, Footballer, Handballer, Radfahrer, Leichtathleten, Volleyballer, Fitnesssportler und Tennisspieler. Auffällig: keine Sportart fällt besonders aus dem Rahmen.
65 Männer hatten sich beteiligt, 31 davon unter 30 Jahren, der Rest
älter. Von den 35 teilnehmenden Frauen waren 18 unter 30.
Auf die Frage: „Nehmen Sie im Zusammenhang mit ihrer Sportart Schmerzmittel wie Aspirin, Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen oder ähnliches ein?“antworten 41 Sportler mit „Ja“, was einem Anteil von 41 Prozent entspricht. Heißt: Mehr als vier von zehn Sportler greifen auf Schmerzmittel zurück.
Bei den 30 Männern, die mit „Ja“geantwortet haben, waren 13 unter 30 Jahre alt, 17 älter. Elf Frauen hatten die Frage mit „Ja“beantwortet, sechs waren unter 30, fünf älter. Die Vermutung, dass deutlich mehr ältere Sportler zu Schmerzmittel greifen, hatte sich damit nicht bestätigt.
Die Betrachtung der Ergebnisse insgesamt lässt zudem erkennen, dass verhältnismäßig mehr Männer zur Schmerzmittel-pille greifen als Frauen. 30 von insgesamt 65 Männern, die Schmerzmittel nehmen, entsprechen einem prozentualen Anteil von 46,2. Der Anteil der Frauen ist deutlicher niedriger und liegt bei 31 Prozent.
Abgefragt wurde zudem, welche Schmerzmittel eingenommen werden. Die meisten Nennungen (35) entfielen auf Ibuprofen, gefolgt von Diclofenac (9), Paracetamol (5) und Aspirin (2). Genannt wurden auch Celebrex und Novalgin. Ein Teilnehmer gab an, auch auf Morphium zurückzugreifen.
Ein weiterer Fragenkomplex drehte sich um das „Wann“der Einnahme. Die meisten Nennungen (35) entfielen auf den Zeitpunkt „nach oder bei Verletzungen“. 24 Mal wurde hinter der Aussage „nach oder bei akuten Schmerzen nach Training, Spiel oder Wettkampf“ein Haken gesetzt. Die Schmerzmittel-einnahme „vor einer Einheit im Training oder in der Vorbereitung auf die
Saison“wurde 14 Mal mit „Ja“beantwortet. 25 Sportler gaben schließlich an, Schmerzmittel auch „vor einem Wettkampf beziehungsweise einem Spiel“zu nehmen.
Experte: „Das ist Missbrauch“
Nach Ansicht des Arzneimittelexperten Prof. Gerd Glaeske, der an der Universität Bremen forscht und lehrt, ist, so ist es im Ärzteblatt (Ausgabe August 2020) zu lesen, die Einnahme vor dem Sport bereits Missbrauch. Schmerzmittel wie Ibuprofen & Co. seien nicht für den prophylaktischen Gebrauch vorgesehen.
Zwei weitere Fragen galt es von den Sportlern in der Hz-umfrage zu beantworten: Neun Sportler gaben an, Schmerzmittel regelmäßig zu nehmen. Fünf Sportler bejahten schließlich die Frage, ob die Einnahme von Schmerzmitteln Nebenwirkungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge hat: Genannt werden generell Magenprobleme oder Probleme mit den Nieren.
Offenbar können Schmerzmittel auch zur psychischen Abhängigkeit führen: Im Gespräch mit einem Mannschaftssportler erklärt dieser, er habe nach einem Riss eines Kniebandes drei Jahre lang Schmerzmittel genommen. Morgens, mittags und abends. „Ich habe das für meinen Kopf gebraucht. Jetzt ist das zum Glück vorbei“, so der Heidenheimer.