Heidenheimer Neue Presse

Corona wirft Inklusion zurück

Menschen mit Behinderun­gen arbeiten oft in Branchen, die vom Lockdown betroffen sind. Vor allem in Baden-württember­g steigt darum die Arbeitslos­igkeit in dieser Gruppe.

- Von Simone Dürmuth (mit dpa)

Um vier Jahre seien ihre Bemühungen um die Inklusion behinderte­r Menschen in den Arbeitsmar­kt zurückgewo­rfen worden, berichtet die Aktion Mensch aus einer gemeinsame­n Studie mit dem Handelsbla­tt Research Institute (HRI). „Seit 2013 verbessert­e sich die Arbeitsmar­ktsituatio­n von Menschen mit Behinderun­g fast stetig“, erklärte Hri-präsident Bert Rürup. Doch Corona habe die Erfolge der letzten Jahre in kürzester Zeit zunichte gemacht. „Allein von März bis April erhöhte sich die Zahl arbeitslos­er Menschen mit Schwerbehi­nderung um mehr als 10 000.“

Grund dafür: Die Auswirkung­en der Corona-pandemie. Im Schnitt um 13 Prozent hat die Arbeitslos­igkeit von Schwerbehi­nderten im Vergleich zu Oktober 2019 zugenommen. Bayern ist hier trauriger erster mit 19,1 Prozent, in Hamburg stiegen die Zahlen um 18,9 Prozent, und Badenwürtt­emberg belegt mit einem Zuwachs um 16,4 Prozent den dritten Platz.

Warum es im Süden relativ viele Menschen trifft? Die Studie von der Aktion Mensch und dem Handelsbla­tt Research Institute (HRI) stellt fest, dass es hier eine Überlageru­ng der coronabedi­ngten Konjunktur­krise mit der seit Jahren bestehende­n Strukturkr­ise gibt, die vor allem die Automobil

und ihre Zulieferin­dustrie trifft. Außerdem gebe es in Badenwürtt­emberg relativ viele Inklusions­betriebe, erklärt Simone Fischer, die bei der Stadt Stuttgart als Beauftragt­e für die Belange von Menschen mit Behinderun­gen arbeitet und die selbst Kleinwüchs­ig ist. „Dort arbeiten überpropor­tional Menschen mit Behinderun­g. Diese gemeinnütz­igen Betriebe sind in Branchen angesiedel­t, die stark unter den Umsatzeinb­ußen infolge der Corona-pandemie leiden.“Also zum

Beispiel in der Gastronomi­e, im Catering oder in der Hotellerie. Diese Betriebe waren und sind in besonderem Maße vom Lockdown im März und dem Teil-lockdown im November sowie von den Beschränku­ngen des Wirtschaft­slebens betroffen.

Zwar steigt die Arbeitslos­igkeit unter den Schwerbehi­nderten etwas langsamer als im deutschen Durchschni­tt, doch sie stellt die Menschen auch vor besondere Herausford­erungen. „Haben Menschen mit Behinderun­g ihren

Arbeitspla­tz erst einmal verloren, finden sie sehr viel schwerer in den ersten Arbeitsmar­kt zurück als Menschen ohne Behinderun­g“, sagt Christina Marx, Sprecherin der Aktion Mensch. Das zeigt sich unter anderem daran, dass Personen mit einer Schwerbehi­nderung in Baden-württember­g schon bisher mehr als 100 Tage länger nach einem neuen Job suchen müssen, als Menschen ohne Beeinträch­tigung.

„Für schwerbehi­nderte Arbeitnehm­er haben eine adäquate Beschäftig­ung

und eine geregelte Tagesstruk­tur einen wichtigen Stellenwer­t. Sie definieren sich oft mehr über ihre Beschäftig­ung“, sagt Fischer. Außerdem seien Menschen mit Behinderun­gen stärker von ihrem Jobs abhängig, da sie selten große Rücklagen haben und damit auch stärker von Armut bedroht seien.

Der Sozialverb­and VDK befürchtet, dass die Entwicklun­g sich weiter fortsetzen wird. „Bisher fängt das Kurzarbeit­ergeld noch einiges ab und der besondere Kündigungs­schutz sorgt für eine zeitliche Verzögerun­g“, erklärt die Vorsitzend­e Verena Bentele. Sie sieht Beschäftig­te mit Vorerkrank­ungen auch Benachteil­igt, wenn es um die Verlagerun­g der Arbiet ins Homeoffice geht – vielen fehlten zu Hause die technische­n Voraussetz­ungen für barrierefr­eies Arbeiten.

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil will gesetzlich helfen. Firmen, die gegen die Beschäftig­ungspflich­t von Menschen mit Behinderun­g verstoßen, sollen von 2022 an eine deutlich erhöhte Ausgleichs­abgabe mehr bezahlen.

Schwere Rückkehr in den ersten Arbeitsmar­kt.

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Menschen mit Behinderun­gen fällt es oft deutlich schwerer, einen neuen Job zu finden.

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