Ein Aufseher vom alten Schlag
Mit Bernd Pischetsrieder wacht künftig ein ehemaliger BMW- und Vw-chef über den Stuttgarter Autobauer. Die Entscheidung ruft Kritik hervor.
Was bei Daimler nicht gut läuft, liegt in grauen Wäschekörben. Die Gewerkschaft IG Metall und der Gesamtbetriebsrat übergaben am Donnerstag 50 000 Postkarten mit „Forderungen, Sorgen und Ängsten“der Mitarbeiter an die Unternehmensleitung. Die Zukunft des Motorenwerks in Untertürkheim, der Bau von Motoren in China und allgemein die Verwerfungen durch den Wechsel (Transformation) vom Verbrennerzum Elektromotor führten in den vergangenen Wochen zu einem ungewohnt heftigen Schlagabtausch zwischen Mitarbeiter-vertretern und Management.
Menschen hinter Postkarten
Ig-metall-bezirksleiter Roman Zitzelsberger machte bei der bundesweit laufenden „Solidaritätsaktion“klar: „Niemand stellt die Transformation infrage. Der Wandel muss mit den Beschäftigten gelingen. Nicht nur Daimler, alle Betriebe in der Metall- und Elektroindustrie, brauchen sichere Arbeitsplätze mit Produkten, die auch in Zukunft Beschäftigung in den Betrieben sichern“. Die Menschen hinter den Postkarten hätten Daimler groß und erfolgreich gemacht, sagte Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht.
Der Umbau des Konzerns ist für Leitung aber nur eines von vielen Problemen. Der Zeitpunkt für die Postkarten-aktion war nicht zufällig gewählt. Am Dienstag traf sich auch der Aufsichtsrat der Daimler AG, um über seine teilweise Neubesetzung zu sprechen.
Vor allem ging es um die Position des Vorsitzenden des Gremiums, das der langjährige Vorstandschef Manfred Bischoff (78) turnusgemäß Ende März verlässt. Für den Posten galt lange Zeit der ehemalige Vorstandschef Dieter Zetsche als gesetzt. Doch dieser stand zunehmend in der Kritik, weil er laut Investoren zu lange auf den Verbrennermotor gesetzt und wichtige Weichenstellungen bei der Elektromobilität verpasst haben soll.
Als weitere Kandidaten für den Posten wurden der ausscheidende Siemens-chef Joe Kaeser (63), Ex-basf-vorstandsvorsitzender Jürgen Hambrecht (74) und Telekom-chef Tim Höttges (58) gehandelt. Dass der Aufsichtsrat den ehemaligen VW- und BMW-CHEF Bernd Pischetsrieder als obersten Aufseher vorschlägt, begründet Bischoff so: „Seine Expertise und sein Erfahrungsschatz sind für die Daimler AG von herausragender Bedeutung.“Der 72-Jährige habe in seinen sechs Jahren als Aufsichtsrat
bei Daimler „die Entscheidungen, den Konzern zu digitalisieren und das Produktportfolio zu elektrifizieren und damit neu auszurichten, intensiv begleitet.“
Auch Pischetsrieder stehe allerdings nicht gerade für Aufbruch in das Zeitalter der Elektromobilität und Digitalisierung, sondern eher für die alte Welt des Verbrennungsmotors, kritisiert der Automarkt-experte der Nordlb, Frank Schwope, und zeigte sich auch erstaunt über die Nominierung von Ben van Beurden als Aufsichtsrat, dem derzeitigen Shell-chefs.
Daimler will die Transformation zu Elektrifizierung und Digitalisierung jedoch vorantreiben, erklärte der Konzern. Von den 70 Milliarden Euro für Forschung in Entwicklung in den kommenden fünf Jahren werde der größte Teil auf die Pkw-sparte entfallen. Insgesamt liegen die Ausgaben aber im im Jahr 2025 um ein Fünftel niedriger als 2019.
Mit dem Gesamtbetriebsrat hat sich die Unternehmensleitung auf einen Transformationsfonds geeinigt. Mit einer Milliarde Euro sollen Zukunftstechnologien vorangetrieben und Beschäftigung an deutschen Standorten gesichert werden. Damit werde ein „wichtiges Signal“an die Mitarbeiter gesendet, teilt Brecht mit. Der Fonds sei ein „Beitrag, um die Transformation bei Daimler fair zu gestalten“.
Vorstandschef Ola Källenius will das Tempo der Erholung aus der Corona-krise hoch halten. Der Konzern gehe mit einem Wachstumsschwung ins neue Jahr und bleibe für China optimistisch, sagte er der „Financial Times“. Im dritten Quartal hat Mercedes-benz in dem wichtigsten Einzelmarkt ein Verkaufsplus bei Pkw von fast einem Viertel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnet. Auch danach habe das Wachstum zweistellige Prozentsätze erreicht.