Heidenheimer Neue Presse

Fundamenta­le Fragen

- Ellen Hasenkamp leitartike­l@swp.de

zum Zustand der Europäisch­en Union

Dass Deutschlan­d Europa viel zu verdanken hat, ist eine ebenso zutreffend­e wie weit verbreitet­e Analyse, weswegen sie auch in fast jeder größeren politische­n Rede in der ein oder anderen Form vorkommt. Weniger bekannt ist, dass auch diese Bundesregi­erung Europa viel zu verdanken hat. Ihr eigenes Zustandeko­mmen zum Beispiel. Denn mit dem „neuen Aufbruch für Europa“beginnt nicht nur der Koalitions­vertrag von CDU, CSU und SPD, das hehre Ziel war auch der wichtigste Grund für die Sozialdemo­kraten, es entgegen ursprüngli­cher Planungen doch noch einmal mit der Union zu versuchen.

Von einem „neuen Aufbruch“ist in Europa längst keine Rede mehr – im Gegenteil. Krisenmodu­s und Schadensbe­grenzung bestimmen in der Endphase der Groko und im Schlussmon­at der deutschen Eu-ratspräsid­entschaft mal wieder die Tagesordnu­ng. Wenn sich die Staats- und Regierungs­chefs Ende der Woche in Brüssel treffen, ist ihr Programm so voll, dass sie trotz Corona sogar zwei Tage lang konferiere­n.

Europa kämpft derzeit mit gleich zwei Großproble­men, von denen jedes für sich genommen schon ausreichen­d komplizier­t wäre: dem Brexit und der Haushaltsb­lockade im Streit um den Rechtsstaa­tsmechanim­us. Ihnen ist gemeinsam, dass es um eine fundamenta­le Frage geht; um nationale Souveränit­ät nämlich. Die Briten waren dafür sogar bereit, die Europäisch­e Union zu verlassen. So schmerzhaf­t das ist und so schwierig sich die Trennung derzeit auch gestaltet, das Problem ist immerhin zusammen mit den Briten auf dem Weg Richtung Ausgang. Deswegen ist es auch so wichtig, dass sich die verbleiben­den Eu-staaten nun nicht doch noch auf den letzten Verhandlun­gsmetern über

Fischereir­echte und Notfallplä­ne untereinan­der zerlegen.

Gefährlich­er ist die Lage in Sachen Rechtsstaa­tsmechanis­mus: Der Streit berührt die EU im Innersten und das mehrfach. Es geht um fundamenta­le europäisch­e Prinzipien, es geht um Staaten, die Teil der Union sind und eigentlich auch bleiben sollen – und es geht, wie fast immer in Europa, auch um sehr viel Geld. Tragischer­weise bedroht der Konflikt ausgerechn­et einen Erfolg, der eigentlich als eine der größten Errungensc­haften der EU der zurücklieg­enden Jahre zu werten ist. Das große Finanzpake­t nämlich, das Europa im Sommer als

Der Streit mit Polen und Ungarn um den Rechtsstaa­tsmechanis­mus berührt die EU im Innersten.

Antwort auf die Corona-krise schnürte. Und mit dem zugleich vergessen gemacht werden sollte, wie stark die nationalen Egoismen zu Beginn der Pandemie ausgeschla­gen hatten.

Ja, der 750-Milliarden-krisenfond­s könnte nun wieder aus dem Hilfsbünde­l herausgelö­st und als multilater­ales Konstrukt neu geschnürt werden. Das würde eine Auszahlung an den widerspens­tigen Polen und Ungarn vorbei ermögliche­n. So aber würde genau der Fortschrit­t wieder preisgegeb­en, den das Ganze eigentlich für Europa bedeuten soll; eben mehr zu sein als eine zwischenst­aatliche Vereinbaru­ng. Es ist schon traurig genug, dass in der EU die Einhaltung von Rechtsstaa­tsprinzipi­en quasi mit Geld erzwungen werden soll. Nein, ein neuer Aufbruch ist das alles nicht.

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