Das stille Sterben
mutet Südkoreas Navigieren durch das Corona-jahr wie eine beeindruckende Erfolgsgeschichte an. Doch das ist nur die Oberfläche, denn hinter den nüchternen Zahlen spielt sich in der Gesellschaft eine stille Tragödie ab: Die Suizidrate steigt. Vor allem sind es junge Frauen, die im Krisenjahr 2020 nur mehr den Tod als Ausweg sehen.
Ein Blick auf die Statistiken ist alarmierend: Von Januar bis August wurden über ein Drittel aller Suizidversuche von Südkoreanerinnen in ihren Zwanzigern begangen. Die Todesrate in jener Altersgruppe ist im Vergleich zum Vorjahr um knapp vierzig Prozent angestiegen – so drastisch wie in keinem anderen Bevölkerungssegment.
„In unserer Gesellschaft sind männliche Arbeitskräfte noch immer die Hauptbeschäftigten. Frauen hingegen werden meist als überschüssige Hilfskräfte eingesetzt, die bei Bedarf arbeiten und jederzeit abgebaut werden können“, sagt Jang Sook-rang, Professorin der Chung-ang Universität zu der linksgerichteten Zeitung „Hankyoreh“: „Frauen sind also hauptsächlich in der Dienstleistungsbranche tätig, und diese ist durch Corona am stärksten betroffen“.
Im Krisenjahr 2020 haben bislang weit mehr als 120 000 Frauen zwischen 20 und 30 ihre Arbeitsstelle verloren. Gleichzeitig fallen sie durch das Netz des ohnehin rudimentären Sozialstaats, der ausschließlich Hilfsmaßnahmen für jene Südkoreanerinnen vorsieht, die eine Familie gründen. Alleinstehende Frauen ohne Kinder wurden bislang in den staatlichen Programmen stets ignoriert.
Die koreanische Gesellschaft leidet bereits seit mehreren Jahrzehnten an einer der höchsten Suizidraten überhaupt. Die dahinterliegenden Gründe sind vielfältig, doch lässt sich die soziale Tragödie vor allem mit der rasanten Transformation nach dem Koreakrieg von 1950 bis 1953 erklären. Wie im Zeitraffer durchlief Korea in drei Jahrzehnten den gleichen sozialen Wandel, für den europäische Staaten über ein Jahrhundert Zeit hatten.
Gleichzeitig ist Südkorea nach wie vor eine hochgradig patriarchale Gesellschaft, die etwa bei der Gleichstellung der Geschlechter den 108. Platz von insgesamt 153 Nationen belegt. Kein anderes OECD-LAND weist zudem ein höheres Lohngefälle zwischen Männern und Frauen auf. Die gläserne Decke ist in vielen Unternehmen fest zementiert – dabei haben Frauen in Südkorea im Schnitt einen höheren Bildungsabschluss.
In unserer Gesellschaft sind Männer noch immer die Hauptbeschäftigten. Jang Sook-rang
Professorin der Chung-ang-universität