Gesundheit gegen Daten
Südkorea hat die Pandemie deutlich besser in den Griff bekommen als europäische Staaten. Diese positive Bilanz beruht auf Eingriffen in die Privatsphäre der Bevölkerung.
Der Grund für Südkoreas Erfolg in der Corona-pandemie ist kein Geheimnis. Er hat viel zu tun mit Leuten wie Kwon Donghyok, der bei der nationalen Seuchenpräventionsbehörde arbeitet: „Unsere Hauptaufgabe besteht darin, die Verbindungsglieder zwischen den Infektionsfällen zu finden und ein Aufflammen des Virus zu verhindern“, sagt der Wissenschaftler. Kwon leitet ein Team von mehr als 100 Ermittlern, die in wohl weltweit einmaliger Schnelligkeit sämtliche Kontakte eines jeden Patienten nachverfolgen. Nachahmen lässt sich ihr Tun jedoch nur beschränkt, denn in Südkorea können die „Contact Tracer“in Echtzeit auf eine immense Datenmenge zugreifen.
Zuletzt führte die Regierung in Seoul trotzdem mit mahnenden Worten strengere Abstandsregeln für Restaurants, Kneipen und Kinos ein, da die täglichen Infektionszahlen auf über 600 gestiegen sind. Das Land weist trotzdem immer noch Werte auf, von denen man in Europa nur träumen kann. Stand Sonntag sind in Südkorea bislang insgesamt nur 545 Menschen an dem Coronavirus gestorben – trotz einer Bevölkerung von 50 Millionen, von denen die Hälfte in der extrem dicht besiedelten Metropolregion Seoul lebt.
Südkoreas epidemiologischer Erfolg wäre wohl nicht ohne eine schmerzliche Niederlage von vor fünf Jahren denkbar. Damals brachte ein Geschäftsmann nach einem Aufenthalt im Mittleren Osten ebenfalls ein Coronavirus ins Land, welches innerhalb weniger Wochen 36 Menschen tötete. Bei der Mers-epidemie versagte jedoch die südkoreanische Regierung auf ganzer Linie: Um in der Bevölkerung keine Ängste zu schüren, hielt sie wichtige Informationen vor der Öffentlichkeit unter Verschluss – und löste damit ganz im Gegenteil ein gesellschaftliches Klima der Paranoia aus. Vor allem aber gelang es den Wissenschaftlern nicht, das Infektionsgeschehen zeitnah nachzuverfolgen.
Dementsprechend verabschiedeten die Politiker des Landes in Folge der Mers-epidemie ein – demokratisch legitimiertes – Notfallgesetz,
das bei Virusausbrüchen sowohl der Bevölkerung radikale Informationstransparenz zusichert, als auch den epidemiologischen Ermittlern freien Zugriff auf die anonymisierten Daten der Bürger erlaubt.
Während der Covid-pandemie funktionierte das neue System bislang überaus effizient: Wann immer die Gesundheitsbehörden einen Corona-patienten registrieren, wird dieser zunächst nach seinen Kontakten der letzten Tage ausgefragt. Gleichzeitig loggen sich die Ermittler in eine Big-data-plattform ein, auf die die Seuchenpräventionsbehörde, die Polizei sowie die großen Telekommunikationsunternehmen Zugriff haben. Innerhalb einer Stunde können die „Contact Tracer“über die Gps-daten vom Smartphone des Infizierten genau nachverfolgen, welche Orte dieser besucht hat.
Daraufhin werden in einem nächsten Schritt sämtliche engen Kontakte, also etwa Arbeitskollegen
oder Sitznachbarn in Restaurants, kontaktiert und zum Covid-test gebeten. Bislang ist es den Südkoreanern auf diesem Wege gelungen, das Infektionsgeschehen stets nachvollziehen zu können.
In Europa ruft ein solch drastischer Eingriff in die Privatsphäre der Bürger tiefe Grundängste wach. Südkorea hingegen ist eine Gesellschaft, die zutiefst von Technikgläubigkeit durchzogen ist. Praktisch ohne natürliche Ressourcen ausgestattet, hängt das Land am Han-fluss vom Innovationsgeist seiner Bevölkerung ab. Die Regierung hat bereits in den neunziger Jahren massiv in den Ausbau von Internetverbindungen investiert, der Erfolg der größten Unternehmen des Landes wie Samsung und LG fußt auf der Entwicklung von Smartphones, Halbleiter und Tv-bildschirmen.
Innerhalb einer Stunde können alle Kontakte über Smartphone-daten nachverfolgt werden.
Überwachung wird geduldet
Digitale Überwachung wird im demokratischen Korea zwar nicht begrüßt, sehr wohl jedoch im Austausch für ein größeres Allgemeinwohl in Kauf genommen. Im Fall der Corona-pandemie ist die absolute Mehrheit der Südkoreaner bereit, einen solchen Tauschhandel einzugehen. Denn durch die Einschränkungen beim Datenschutz waren andere Eingriffe nicht nötig: Bislang gab es in Südkorea weder einen Lockdown noch Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit. Der Datenzugriff der Behörden ist auch nur temporär erlaubt: Spätestens nach 14 Tagen müssen sämtliche Informationen wieder gelöscht werden.