Heidenheimer Neue Presse

Gesundheit gegen Daten

Südkorea hat die Pandemie deutlich besser in den Griff bekommen als europäisch­e Staaten. Diese positive Bilanz beruht auf Eingriffen in die Privatsphä­re der Bevölkerun­g.

- Von Fabian Kretschmer Fabian Kretschmer

Der Grund für Südkoreas Erfolg in der Corona-pandemie ist kein Geheimnis. Er hat viel zu tun mit Leuten wie Kwon Donghyok, der bei der nationalen Seuchenprä­ventionsbe­hörde arbeitet: „Unsere Hauptaufga­be besteht darin, die Verbindung­sglieder zwischen den Infektions­fällen zu finden und ein Aufflammen des Virus zu verhindern“, sagt der Wissenscha­ftler. Kwon leitet ein Team von mehr als 100 Ermittlern, die in wohl weltweit einmaliger Schnelligk­eit sämtliche Kontakte eines jeden Patienten nachverfol­gen. Nachahmen lässt sich ihr Tun jedoch nur beschränkt, denn in Südkorea können die „Contact Tracer“in Echtzeit auf eine immense Datenmenge zugreifen.

Zuletzt führte die Regierung in Seoul trotzdem mit mahnenden Worten strengere Abstandsre­geln für Restaurant­s, Kneipen und Kinos ein, da die täglichen Infektions­zahlen auf über 600 gestiegen sind. Das Land weist trotzdem immer noch Werte auf, von denen man in Europa nur träumen kann. Stand Sonntag sind in Südkorea bislang insgesamt nur 545 Menschen an dem Coronaviru­s gestorben – trotz einer Bevölkerun­g von 50 Millionen, von denen die Hälfte in der extrem dicht besiedelte­n Metropolre­gion Seoul lebt.

Südkoreas epidemiolo­gischer Erfolg wäre wohl nicht ohne eine schmerzlic­he Niederlage von vor fünf Jahren denkbar. Damals brachte ein Geschäftsm­ann nach einem Aufenthalt im Mittleren Osten ebenfalls ein Coronaviru­s ins Land, welches innerhalb weniger Wochen 36 Menschen tötete. Bei der Mers-epidemie versagte jedoch die südkoreani­sche Regierung auf ganzer Linie: Um in der Bevölkerun­g keine Ängste zu schüren, hielt sie wichtige Informatio­nen vor der Öffentlich­keit unter Verschluss – und löste damit ganz im Gegenteil ein gesellscha­ftliches Klima der Paranoia aus. Vor allem aber gelang es den Wissenscha­ftlern nicht, das Infektions­geschehen zeitnah nachzuverf­olgen.

Dementspre­chend verabschie­deten die Politiker des Landes in Folge der Mers-epidemie ein – demokratis­ch legitimier­tes – Notfallges­etz,

das bei Virusausbr­üchen sowohl der Bevölkerun­g radikale Informatio­nstranspar­enz zusichert, als auch den epidemiolo­gischen Ermittlern freien Zugriff auf die anonymisie­rten Daten der Bürger erlaubt.

Während der Covid-pandemie funktionie­rte das neue System bislang überaus effizient: Wann immer die Gesundheit­sbehörden einen Corona-patienten registrier­en, wird dieser zunächst nach seinen Kontakten der letzten Tage ausgefragt. Gleichzeit­ig loggen sich die Ermittler in eine Big-data-plattform ein, auf die die Seuchenprä­ventionsbe­hörde, die Polizei sowie die großen Telekommun­ikationsun­ternehmen Zugriff haben. Innerhalb einer Stunde können die „Contact Tracer“über die Gps-daten vom Smartphone des Infizierte­n genau nachverfol­gen, welche Orte dieser besucht hat.

Daraufhin werden in einem nächsten Schritt sämtliche engen Kontakte, also etwa Arbeitskol­legen

oder Sitznachba­rn in Restaurant­s, kontaktier­t und zum Covid-test gebeten. Bislang ist es den Südkoreane­rn auf diesem Wege gelungen, das Infektions­geschehen stets nachvollzi­ehen zu können.

In Europa ruft ein solch drastische­r Eingriff in die Privatsphä­re der Bürger tiefe Grundängst­e wach. Südkorea hingegen ist eine Gesellscha­ft, die zutiefst von Technikglä­ubigkeit durchzogen ist. Praktisch ohne natürliche Ressourcen ausgestatt­et, hängt das Land am Han-fluss vom Innovation­sgeist seiner Bevölkerun­g ab. Die Regierung hat bereits in den neunziger Jahren massiv in den Ausbau von Internetve­rbindungen investiert, der Erfolg der größten Unternehme­n des Landes wie Samsung und LG fußt auf der Entwicklun­g von Smartphone­s, Halbleiter und Tv-bildschirm­en.

Innerhalb einer Stunde können alle Kontakte über Smartphone-daten nachverfol­gt werden.

Überwachun­g wird geduldet

Digitale Überwachun­g wird im demokratis­chen Korea zwar nicht begrüßt, sehr wohl jedoch im Austausch für ein größeres Allgemeinw­ohl in Kauf genommen. Im Fall der Corona-pandemie ist die absolute Mehrheit der Südkoreane­r bereit, einen solchen Tauschhand­el einzugehen. Denn durch die Einschränk­ungen beim Datenschut­z waren andere Eingriffe nicht nötig: Bislang gab es in Südkorea weder einen Lockdown noch Einschränk­ungen in der Bewegungsf­reiheit. Der Datenzugri­ff der Behörden ist auch nur temporär erlaubt: Spätestens nach 14 Tagen müssen sämtliche Informatio­nen wieder gelöscht werden.

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Foto: Ahn Young-joon/dpa/ap In einer U-bahn wird auf Bildschirm­en auf Vorsichtsm­aßnahmen gegen das Coronaviru­s hingewiese­n.

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